Schweigen lernen

Von der Verlegenheit, etwas sagen zu müssen, wo Schweigen geboten wäre. Eine Kolumne von Jürgen Mette
Von PRO
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

Eigentlich bin ich für mein Alter immer noch ziemlich vorlaut. Aber solche Erfahrungen wie diese halten mir den Spiegel vor. Da treffe ich doch neulich einen alten Kumpel, den ich lange nicht gesehen hatte. Er hatte wohl von meiner chronischen Erkrankung, Parkinson, gehört und fragte mich mitten im Gewühl und der Geräuschkulisse eines Sektempfangs: „Na, Mette, wie geht’s dir denn?“

Die Art, wie er fragte, ließ mich vermuten, dass er gar keine Zeit für meine Antwort hatte und dass es ihn eigentlich auch gar nicht interessierte. So erzählte ich ein paar Sätze zu meinem Ergehen, aber er schaute bald an mir vorbei und grüßte geistesabwesend und gestenhaft umstehende Gäste. Er war physisch noch bei mir, aber geistig bereits weggetreten. Er hatte Sorge, etwas zu verpassen. Ich habe dann nach einer Minute meinen kleinen Gesundheitsreport beendet. Er war ins Leere gelaufen. Aber jetzt kam der Hammer. Er haute mir auf die Schulter und beendete die flüchtige Konversation mit einem treuherzigen: „Hauptsache gesund!“ Und weg war er. Das Buffet …

Dieser Phrasendrescher hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Manchmal wünschen mir gutmeinende Leute „gute Besserung“, so, als hätte ich Husten. Und ganz übel wird es, wenn mir Menschen makabre Geschichten erzählen von „der Oma seiner Großtante, von der die Schwester, die auch elendig an Alzheimer zugrunde gegangen“ sei.

Und dann immer wieder die fromme Gott-macht-keine-Fehler-Phrase. Ich ertrage diese Vereinnahmung Gottes nicht. Wer sind wir, dass wir Gott Fehlerlosigkeit attestieren? Ich habe mich selbst oft mit solchen Sprüchen scheinheilig um das unfassbare Heilige gedrückt. Wir sind oft sprachlos – und das sollten wir aushalten. Schweigender Fürglaube, stumme Gebete, lautlose Empathie, das tröstet mehr als „alles wird gut“.

Nein, ich brauche angesichts unsäglichen Leides auf der Welt Gott nicht zu bemühen, dass er die Sinnhaftigkeit des himmelschreienden Elends erklärt. Wir wissen nichts. Früher habe ich oft gesagt: „Die Ewigkeit wird es einmal offenbaren!“ Die Hoffnung stirbt zuletzt. So gesehen bieten wir dem Atheismus volle Breitseite. Wer mir mit der Theodizeefrage kommt, dem habe ich nichts Plausibles entgegenzusetzen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich ein Kind des Gottes bin, der in Jesus Mensch geworden ist und mich befreit hat zur ewigen Gemeinschaft mit ihm. Viele Menschen sprechen ihn mit „Herr“ an, aber das wird seinem Wesen nicht gerecht. Andere sprechen ihn mit „König“ an, aber auch das geht an seiner Selbstauskunft „Ich bin, der ich für dich bin“ vorbei.

Das auszuhalten und nicht alles mit unserer kleinen Logik bedienen zu müssen, das ist eine entlastende Freiheit. Ich muss das Unerklärliche nicht erklären. Darum kann Schweigen manchmal das Gebot der Stunde sein. Und wenn wir reden, dann soll das pure Wort Gottes zur Geltung kommen, nicht meine Interpretation. Die Wirkkraft biblischer Texte ist nicht zu toppen. Angesichts schwerer Grenzerfahrungen in der Heiligkeit Gottes ruhen und heil werden, das wünsche ich allen Angefochtenen und Geprüften, allen Verzweifelten und Überforderten.

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