Was uns der Mordfall von Kandel lehrt

In der Kleinstadt Kandel tötete ein junger Flüchtling aus Afghanistan seine 15-jährige Ex-Freundin. Der Fall hat die Debatte neu aufgewirbelt, wie Medien und Behörden mit Gewalt von Flüchtlingen umgehen sollen. Dieses Problem zu relativieren hilft jedenfalls nicht – weder Flüchtlingen selbst noch dem Frieden im Land. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von Jonathan Steinert
Der junge Mann, der in Kandel seine Ex-Freundin erstach, war der Polizei bekannt

Ein junger Afghane, als Flüchtling nach Deutschland gekommen, ersticht in einem Drogeriemarkt der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Kandel ein einheimisches Mädchen. Sie war 15, ihr Mörder mutmaßlich auch. Diese Nachricht sorgt seit kurz vor dem Jahreswechsel für Aufregung. Nicht nur wegen der furchtbaren Tat selbst und weil nicht klar ist, ob der Täter wirklich minderjährig ist, sondern auch weil die ARD in ihren Nachrichten zunächst nicht darüber berichtete.

Täter und Opfer kannten sich, sie waren einmal ein Paar gewesen, die Familie des Mädchens hatte den Jugendlichen bei sich aufgenommen. Nach dem Ende der Beziehung stellte er ihr trotzdem noch nach, wurde wegen Bedrohung, Nötigung und Beleidigung angezeigt, von der Polizei vorgeladen. Es ist nicht der erste Fall dieser Art. Kurz vor Weihnachten wurden zwei ähnliche Mordversuche von jungen Afghanen an ihren Verflossenen bekannt. Nicht zuletzt ruft die Tat den Mord an einer Freiburger Studentin im Oktober vor einem Jahr in Erinnerung, auch dort wurde ein Flüchtling zum Täter.

Bei jenem Fall hatte die ARD ebenfalls zunächst nicht berichtet und deswegen heftige Kritik auf sich gezogen. Zu lokal, hieß es damals; die Tagesschau berichte nicht über Beziehungstaten, so die Begründung im aktuellen Fall. Und regelmäßig steht die Frage im Raum: Muss die Herkunft des Täters genannt werden? Reflexartig mahnen nach solchen Vorfällen die einen, Flüchtlinge dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden; auf der anderen Seite des politischen Spektrums wird genau das getan. Die einen leugnen, dass die Tat etwas mit der Herkunft zu tun habe, die anderen sehen sie als Beleg dafür, dass von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern eine Gefahr ausgehe.

Ein Mensch wird nicht wegen seiner Nationalität zum Mörder

Die Einschätzung der Redakteure von ARD-aktuell, dass es sich in Kandel um eine Beziehungstat handelte, ist nicht völlig verkehrt. Aber in dem Fall ist die Sachlage doch komplexer, sodass es natürlich ein überregionales, bundesweites öffentliches Interesse gibt. Und in dem Zusammenhang ist auch die Herkunft des Täters eine wichtige Information, weil die Hintergründe der Tat offensichtlich etwas damit zu tun haben, dass er als Flüchtling nach Deutschland kam, hat er doch zeitweise bei der Familie seines Opfers gelebt. Schwere Kriminalfälle mit Flüchtlingen als Täter oder Opfer haben fast automatisch eine politische Dimension. Trotzdem – und das bleibt die Herausforderung – darf man es sich nicht zu leicht machen und eine einfache Kausalität herstellen: Als hätten die jungen Afghanen in den genannten Fällen gemordet, weil sie aus diesem Land kommen oder weil sie Muslime sind. Die Gründe, zum Mörder zu werden, sind in jedem Fall vielschichtig.

Das zeigt eine aktuelle Studie, die der Kriminologe Christian Pfeiffer und seine Kollegen Dirk Baier und Sören Kliem für das Bundesfamilienministerium durchführten. Sie wiesen einen Zusammenhang nach zwischen mehr Gewalttaten und der gestiegenen Zahl von Flüchtlingen in Deutschland. Einen Grund dafür sehen die Forscher darin, dass unter den Flüchtlingen nur wenige Frauen seien. Flüchtlinge lebten häufig in Männergruppen zusammen und orientierten sich „an gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen“. Frauen zivilisierten die Männer, sagte Pfeiffer im Gespräch mit dem ZDF. Deshalb plädiert er aus kriminologischer Sicht unter anderem dafür, dass auch die Familien von Flüchtlingen nach Deutschland kommen können. Auch fehlende Lebensperspektiven von denen, die nicht hierbleiben dürfen, führten zu Frustration und eher zu Gewaltbereitschaft. Hier sieht der Forscher Bedarf, stärker vorbeugend aktiv zu werden – etwa mit besseren Bildungsmaßnahmen hier oder auch mit Rückkehrprogrammen, die in den Heimatländern Perspektiven vermitteln.

Die Frage der Ausländerkriminalität wird von deutschen Medien und Behörden oft mit spitzen Fingern angefasst, weil sie Angst haben, fremdenfeindliche Einstellungen zu fördern. Aber diese Fälle zu relativieren und die Bevölkerung zu beschwichtigen, hilft ebensowenig dabei, Kriminalität von Migranten einerseits wie auch Hass gegenüber Migranten andererseits in den Griff zu bekommen. Ob die Vorschläge von Pfeiffer dem Mädchen aus Kandel tatsächlich das Leben gerettet hätten? Das bleibt offen. Eine Aufgabe bleibt es, sich von politischer Überkorrektheit zu befreien und Kriminalität von Flüchtlingen samt ihren Ursachen auch als solche zu benennen. Denn nur dann kann man konkret dagegen vorgehen – bestenfalls schon bevor etwas passiert. Und nur dann kann man auch glaubhaft einer generellen Fremdenfeindlichkeit entgegentreten. Das ist es, was Deutschland aus dem Mordfall von Kandel lernen kann.

Von: Jonathan Steinert

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