Sankt Martin und die falsche Rücksicht auf Migranten

Laut einer Insa-Umfrage ist nur jeder elfte Deutsche dafür, das Sankt-Martins-Fest in „Lichterfest" umzubenennen. Zhang Danhong, Journalistin der Deutschen Welle, ist froh darüber, dass die meisten Deutschen ihr christliches Brauchtum nicht verleugnen.
Von PRO
Kinder beim Martinssingen in Köln (Archivbild)

Im November 2013 sollte ich für einer Reportage nach Berlin fahren. Es war mir bewusst, dass deswegen ich den allerletzten Martinsumzug meiner Kinder verpassen würde. „Nicht schlimm“, sagten Mann und Tochter unisono. Es wurde ganz schlimm – für mich. Als ich abends auf dem Weg zum Hotel war, ertönte auf der anderen Straßenseite eine himmlische Melodie: „Ich gehe mit meiner Laterne – und meine Laterne mit mir. Dort oben leuchten die Sterne, da unten da leuchten wir.“ Eine Kinderschar sang mein Lieblingsmartinslied und beleuchtete die Straße mit laubgeschmückten Laternen. Mir schossen Tränen in die Augen.

Seitdem werde ich um die Martinszeit melancholisch. Und ob Sie mir glauben oder nicht: Als gebürtige Chinesin und Nichtchristin vermisse ich das katholische Martinsfest. Meine Kinder sind diesem Fest entwachsen. Was mir bleibt, sind die vielen schönen Erinnerungen: die gemeinsamen Laternen-Bastelstunden mit anderen Eltern, die Martinsumzüge unter dem Sternenhimmel, in der klirrenden Kälte oder im Nieselregen, Tochter im Kinderwagen, an der Hand oder außer Sichtweite, weil sie lieber mit Freundinnen vorneweg lief, um dem imposanten Pferd und dem Heiligen Martin (manchmal auch Martina) im roten Gewand nahe zu sein, dann das knisternde Feuer und die leuchtenden Kinderaugen.

Vorbild auch für Muslime

Dass ich gerne an die Martinsfeste zurückdenke, verbindet mich mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Er habe gerne mit seiner Mutter in der Grundschulzeit mitgemacht, sagte Mazyek vor Jahren gegenüber der Tageszeitung Die Welt über seine Erfahrungen mit Martinsumzügen. „Das Leben von St. Martin ist doch geradezu vorbildlich, auch für Muslime.“

Tatsächlich führte der Bischof von Tours ein tadelloses Leben. Dass der im vierten Jahrhundert in Ungarn geborene Italiener als Soldat in Frankreich diente, qualifizierte ihn als einen der ersten Vordenker der europäischen Einigungsidee. Als Kriegsdienstverweigerer und späterer Pazifist muss er das Herz der Linken und Grünen erweichen. Dass er seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte, berührt nicht nur Christen, sondern alle humanistisch gesinnten Menschen. Selten eignet sich ein christliches Fest so gut wie dieses, Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Weltanschauungen anzusprechen.

Doch nach dem Willen einiger gut meinenden Deutschen soll ausgerechnet der zeitlos vorbildliche Martin als Namensgeber eines Festes ausgedient haben. Linke Lokalpolitiker fordern seit Jahren die Umbenennung des Sankt-Martins-Festes in „Lichter-Fest“ oder „Sonne-Mond-Sterne-Fest“. Einige Kindergartenleiterinnen fühlen sich befugt, eine über tausend Jahre alte Tradition kurzerhand zu ändern. Begründung: Man wolle die Migranten nicht vor den Kopf stoßen. Die Muslime sollten sich nicht ausgegrenzt fühlen.

Zhang Danhong ist Redakteurin bei der Deutschen Welle Foto: V. Glasow/V. Vahlefeld
Zhang Danhong ist Redakteurin bei der Deutschen Welle

Solche Menschen würde ich am liebsten mal durchschütteln und fragen: Wer bitte schön fühlt sich beim Martinsfest ausgegrenzt? Nicht Migranten wie ich, auch nicht die Mehrheit der Muslime. Die muslimische Journalistin Menerva Hammad appellierte an die Deutschen: „Hört auf, eure Traditionen wegen uns umzubenennen!“

Ich fühle mich von Gutmenschen diskriminiert

Für wen halten uns diese selbsternannten Fürsorger eigentlich? Für überempfindliche und zarte Kreaturen, die bei jeder fremden Sitte zusammenbrechen? Sie sorgen sich um unser Wohlbefinden und wollen alles Deutsche von uns fernhalten. Das empfinde ich als höchst diskriminierend und entmündigend.

Viele der Einwanderer, die sich bewusst für ein Leben im christlich geprägten Deutschland entschieden haben, haben eine Affinität zu oder eine Vorliebe für dieses Land. Wir haben uns bereitwillig der deutschen Kultur (und dem Christentum als einem wichtigen Teil der europäischen Kultur) geöffnet und entsprechende Sitten und Gebräuche kennen- und lieben gelernt. Vorschläge, alte Traditionen abzuschaffen oder umzuändern, sind für mich ein Schlag ins Gesicht der gut integrierten Migranten.

Warum hören manche Deutsche mit der Selbstverleugnung nicht auf? Das sei vorauseilender Gehorsam, lese ich. Aber Gehorsam vor wem? Noch hat die Bundesregierung die Willkommenskultur nicht mit der Selbstabschaffung gleichgesetzt. Auch nicht vor der Mehrheit der Zugewanderten. Bleibt nur Gehorsam vor einer Migrantenminderheit übrig, die sich von allem Deutschen und Christlichen vor den Kopf gestoßen fühlt. Diese Menschen sollten entweder in ihre Heimat zurückkehren oder den Fuß nicht mehr vor ihre Wohnung setzen.

Solch vorauseilender Gehorsam fördert nicht den Zusammenhalt in der Gesellschaft – im Gegenteil. Er schürt den Hass vor allem auf die muslimischen Migranten und erreicht exakt das Gegenteil von dem, was die gut meinenden Menschen beabsichtigen. Was sie vielleicht auch bedenken sollten: Wer als Kind Sankt Martin beherzigt hat, wird später keinen Obdachlosen anzünden.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Ihr Beitrag erschien zuerst auf der Webseite der Deutschen Welle. Wir danken für die Genehmigung zum Abdruck. Foto: Deutsche Welle
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Ihr Beitrag erschien zuerst auf der Webseite der Deutschen Welle. Wir danken für die Genehmigung zum Abdruck.

Von: Zhang Danhong, Deutsche Welle

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