Freispruch für Kachelmann

Das Landgericht Mannheim hat am Dienstag den aus dem Fernsehen bekannten Schweizer Wettermoderator Jörg Kachelmann vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Seit seiner Verhaftung am Frankfurter Flughafen am 20. März letzten Jahres wurde der Prozess von den Medien und der Öffentlichkeit intensiv beobachtet und dabei wild spekuliert.
Von PRO

Nach meiner Beobachtung  waren die ruhigen, mäßigenden Stimmen in den Medien eher in der Minderheit. Kräftig waren aber diejenigen zu hören, denen schon ganz klar war, dass Herr Kachelmann in Kürze für mehrere Jahre gesiebte Luft wird atmen müssen und die dabei kräftig im Chor der Wichtigtuer mitsangen. Im Gegensatz zu Zivilverfahren, bei denen zumeist "nur" um Geld gestritten wird, ist derartigen Strafverfahren immer eine große Aufmerksamkeit sicher, und eine angemessene Strafe gehört sich bei bewiesener Schuld auch. Wer versetzt sich nicht gedanklich in den Zuschauerraum und überlegt, wie er vom Platz des Richters, des Staatsanwalts oder des Strafverteidigers aus agiert hätte? Sexualdelikte stoßen in uns Menschen dabei noch eine besonders prickelige Ebene an. Abgesehen vom Bekanntheitsgrad des B-Promis gab es aber offensichtlich schlichtweg keine eindeutigen Beweise für den Vorwurf der Staatsanwälte. Die Schilderungen des angeblich missbrauchten Opfers standen diametral zu den Einlassungen der Verteidiger. Das Gericht konnte sich also nur auf Basis von Indizien von Schuld oder Unschuld des Angeklagten überzeugen. Letztlich haben die vorgefundenen Spuren den Richtern  für eine Verurteilung nicht ausgereicht – „in dubio pro reo“ nennt der Lateiner das, also im Zweifel für den Angeklagten.

Auch wenn wir Deutsche gerne einmal über Behörden und Gerichte schimpfen, ist den Richtern für die Verfahrensführung ein Kompliment zu machen: Sie haben bis zum Schluss nicht durchblicken lassen, wie sie sich zur Sache stellen und sind insbesondere nicht durch erfolgreiche Befangenheitsanträge der Verteidigung hinausgeschossen worden. So etwas ist ein gutes Zeichen für unseren Rechtsstaat und dient der Stabilisierung der Gesellschaft.

Kritisch zu sehen sind allerdings die diversen Vorverurteilungen in den Medien. Hier gilt die Regel: Wer nicht direkt an der Sache beteiligt ist oder über eigene Primärkenntnisse verfügt, sollte tunlichst schweigen. Die Anwaltsregel Nummer eins lautet dabei: Keinerlei Aussage, bis wir nicht die Ermittlungsakte gelesen haben. Der Volksmund betet so schon lange: „Herr, hilf mir, mein Maul zu halten, bis ich weiß, worüber ich rede!“. Oder biblisch ausgedrückt: "Denn wir verfehlen uns alle mannigfaltig. Wer sich aber im Wort nicht verfehlt, der ist ein vollkommener Mann und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten" (Jakobus 3,2). Schnell wird man hier schuldig, denn wer weiß schon außer den beteiligten Personen wirklich, was in der Tatnacht geschah? Eben! Dieses Prinzip müssen wir auch in allen sonstigen Lebensbereichen beherzigen: Bevor ich nicht sichere Erkenntnisse über etwas habe, bin ich lieber still und denke und rede über den anderen nichts Schlechtes. Christen sind vielmehr in besonderer Weise aufgefordert, den Nächsten im Vorgriff auf Gottes Gnade und eine immer mögliche Umkehr durch Gedanken, Wort und Tat zu segnen – auch Herrn Kachelmann.

Die Medien sollten sich vielleicht auch einmal wieder den am 12. Dezember 1973 Bundespräsident Heinemann überreichten Pressekodex ansehen, in dem es beispielsweise in Ziffer 13 heißt: "Unschuldsvermutung. Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse." Man versetze sich einmal in die Lage der Richter, die viel und eigentlich überflüssige Kraft aufwenden müssen, um sich von Vorverurteilungen nicht beeinflussen zu lassen. Noch deutlicher wird die Richtlinie 13.1: „Vorverurteilung. Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind. Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines ‚Medien-Prangers‘ sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.“

Immerhin ist Herr Kachelmann auch durch den Prozess schon belastet, und die Revision zum Bundesgerichtshof ist noch möglich. Die Imageschädigung ist erheblich, und selbst wenn die Gerichtskasse nun die gesetzlichen Gebühren eines Verteidigers tragen muss, kann sich jeder ausmalen, welche Beträge Herr Kachelmann selbst hier zugezahlt haben wird. Das bisschen Haftentschädigung ist dabei eher als Trinkgeld anzusehen.

Im Fall des im Moment in den USA festsitzenden Dominique Strauss-Kahn gilt die gleiche Regel. Auch wenn im Moment die Indizienlage dort bedrückender zu sein scheint, darf unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sowie unter dem Gedanken des Persönlichkeitsschutzes und der Nächstenliebe keine Vorverurteilung erfolgen. Und selbst nach einer Verurteilung: Eine Rückkehr in die Gesellschaft und Vergebung sind für den, der es von Herzen begehrt, bei Gott immer möglich.

Dr. Ingo Friedrich, Jahrgang 1966, ist Rechtsanwalt, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Familienrecht und Verkehrsrecht in Babenhausen/Hessen.

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