Auge um Auge

"Wie du mir, so ich dir" scheinen viele zu denken, die das Minarett-Urteil in der Schweiz gut heißen. Auch wenn ein gewisser Vorbehalt gegen den Bau von Moscheetürmen im Nachbarland angebracht sein mag - ein Vergleich der Schweizer Muslime mit unterdrückten Christen in der arabischen Welt, sollte nicht als Grundlage einer politischen Entscheidung dienen.
Von PRO

Eine "zunehmend rassistische und faschistische Haltung" unterstellte der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan Europa nach dem Volksentscheid gegen neue Minarette in der Schweiz. "Ebenso wie Antisemitismus ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, so ist auch Islamophobie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", erklärte er und weiter: "Diese chauvinistische Haltung ist in diesem Zeitalter nicht zu rechtfertigen". Der Ausspruch mag seltsam anmuten, kommt er doch aus einem Land, das Menschenrechte mit Füßen tritt und dessen EU-Mitgliedschaftswunsch auch deshalb immer wieder für Diskussionen sorgt.

Das haben auch die Medien bemerkt. In dieser Woche wies etwa die "Bild"-Zeitung darauf hin: "Die Türkei, Malaysia, Iran, Jordanien, Saudi-Arabien, Marokko sind – in verschiedenen Abstufungen – noch immer meilenweit von religiöser Toleranz entfernt, wie wir sie in Mitteleuropa kennen." In der Türkei herrsche offiziell Religionsfreiheit, aber eben nur auf dem Papier. Oft würden Christen in der Türkei "behindert, verfolgt, bespitzelt und in seltenen Fällen sogar mit dem Tode bedroht", schreibt "Bild". Der Journalist Henryk M. Broder bemerkte in der "Welt": "Moslems dürfen in Europa Gebetshäuser bauen, Christen in den arabisch-islamischen Ländern dürfen es nicht (von den Juden und anderen Dhimmis nicht zu reden). In Afghanistan und Pakistan droht Konvertiten die Todesstrafe, Touristen dürfen nach Saudi-Arabien nicht einmal Bibeln im Gepäck mitführen. Das sind Zustände, die nicht toleriert werden können."

So sind wir schnell drin in der "Wie du mir, so ich dir"-Argumentation. Die Moslems unterdrücken uns, also sollten wir Christen ihnen im Gegenzug auch nicht jede religiöse Annehmlichkeit erlauben. Immerhin gilt es, unser christliches Abendland zu schützen, wenigstens das, wenn wir uns anderswo schon nicht ungestört entfalten können, mögen manche argumentieren. Und ja: Es gilt unsere christlichen Werte zu wahren. Genau deshalb funktioniert Broders Argumentation nicht. Es gibt wahrlich genug Gründe, gegen Minarettbauten zu sein. Nicht zuletzt muss gefragt werden, ob sie Muslimen tatsächlich zum Ausüben ihrer religiösen Pflichten dienen, oder reine Moschee-Zierden sind. Dennoch gilt: Christlich sein heißt eben nicht, anderen das zuzufügen, was sie einem selbst antun. Das sollte, so menschlich es ein mag, niemals Leitmotiv unseres Handelns sein.

Dennoch gibt es einen rein politischen Grund, all jene Journalisten und Politiker, die derzeit eine Wiederholung des Minarettvotums fordern, eines Besseren zu belehren. Die Schweiz repräsentiert, zugegeben, eine recht extreme Anwendung direktdemokratischer Mittel. Sogar Verfassungsänderungen sind möglich, wenn das Volk es verlangt. Solche direktdemokratischen Mittel gibt es, zumindest auf Bundesebene, in Deutschland nicht. Auch deshalb mag es gerade Deutschen schwerfallen, eine durch Laien mehrheitlich getroffene Verfassungsrevision zu akzeptieren. Demokratischer geht es nicht, oder wie Roger Köppel, Chefredakteur der "Weltwoche", kommentierte: "Ein Gespenst geht um: die Demokratie. Demokratie heißt Volksherrschaft, und es gehört zu den Berufsrisiken dieser Regierungsform, dass das Volk manchmal anders denkt und fühlt als seine Regierung und seine medialen Interpreten."

In der Schweiz hat das Volk entschieden, ob wir wollen oder nicht. Diese Entscheidung nachträglich zu relativieren, wäre Betrug an eben jener Demokratie. Die Politik muss nun nach den Gründen für diese Entscheidung suchen und daran arbeiten, anstatt bereits getroffene demokratische Abstimmungen zu kritisieren. (pro)

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