Irakischer Priester: „Ich hatte immer Hoffnung“

Der IS ist besiegt, doch Christen im Irak geht es trotzdem schlecht. Im Verfolgungsindex von Open Doors liegt das Land auf Platz 11. Vater Thabet Yousseff Mekko, Priester in Karamlesch, hofft, dass der Papstbesuch die Augen der Weltgemeinschaft auf die Lage der Christen in seinem Land lenkt.
Von PRO
Priester Thabet hofft, dass sich durch den Besuch von Papst Franziskus die Lage von Christen im Irak verbessert

pro: Papst Franziskus ist aktuell im Irak. Was erwarten Sie sich von seinem Besuch?

Vater Thabet Yousseff Mekko: Es ist ein historisches Ereignis. Alle Iraker freuen sich darüber, dass der Papst zu uns kommt. Sie setzen große Hoffnung auf ihn. Denn das irakische Volk ist müde. Sie hoffen, dass der Papst, der Mann des Friedens, bei der Heilung des Landes und der Menschen helfen kann. Der Besuch des Papstes muss der Regierung und der internationalen Lage den Ernst der schwierigen Lage der Christen vor Auge führen. Religiöse und kulturelle Minderheiten im Irak müssen unbedingt geschützt werden.

Viele Menschen halten Deutschland für ein Land mit langer christlicher Tradition. Dabei ist die Geschichte des Christentums im Irak viel älter. Seit wann leben Christen im Irak?

Seit dem ersten Jahrhundert. In unserer Tradition gehen wir davon aus, dass es schon 70 nach Christus Kirchen gab. Es gibt historische Zeugnisse bis hin zum heiligen Adday (Thaddeus von Edessa) und den heiligen Mari, der Schüler des Apostels Thomas war. Es gab schon lange eine jüdische Gemeinschaft und gute Beziehungen mit Jerusalem. Von Jerusalem aus breitete sich das Christentum in den Norden Iraks ins damalige Königreich Adiabene im Norden Iraks aus, wo das heutige Erbil liegt. Ab dem siebten Jahrhundert breitete sich das Christentum vom Irak gen Osten aus – bis nach China.

Die reiche christliche Geschichte des Irak fand vor gut sechs Jahren fast ein Ende, als der sogenannte Islamische Staat (IS) christliche Städte eroberte, auch Karamlesch, wo Sie chaldäisch-katholischer Priester sind.

Am 7. August 2014 griffen sie uns an. Als die Peschmerga sich unter Druck nach Erbil zurückzogen, war mir klar: Wir müssen die Stadt verlassen. Die Christen packten zusammen, was sie gerade tragen konnten, Kleidung und ein paar Dokumente, und flohen aus der Stadt. Ich selbst konnte zwei Stunden, bevor der IS kam, entkommen. Mit der Unterstützung von Helfern konnte ich noch die heiligen Bücher meiner Kirche, St. Adday, und die heilige Kommunion mitnehmen.

Wie viele Christen sind insgesamt geflohen?

120.000 Christen haben zu dieser Zeit die Ninive-Ebene verlassen. Mindestens 30 Prozent von ihnen sind seit 2014 auch aus dem Irak über die Landesgrenze geflohen.

Haben Sie damit gerechnet, jemals zurückzukehren?

Ich habe es gehofft. Ich hatte immer Hoffnung. Ich ging zu meinen Geschwistern in die christliche Siedlung Ankawa, einen Vorort von Erbil, mit einem einzigen Hemd im Gepäck. Am zweiten Tag nach der Ankunft begannen wir, ein Zentrum für geflüchtete Familien aufzubauen. Wir konnten ein Gebäude der Diözese Erbil nutzen, das gerade gebaut wurde. Es gab nur ein Dach auf Betonpfeilern. Wir haben die Räume zwischen den Familien mit Tüchern abgetrennt. Wir haben 40 Tage in dieser Weise Gemeinschaft gelebt. Danach konnten wir Räume in der Gegend nutzen, jede Familie bekam ein Zimmer, mit gemeinsamen Aufenthaltsräumen und Küchen. 140 Familien lebten in diesen Verhältnissen. Auch Muslime waren dabei.

Sie hatten immer Hoffnung, sagten Sie – aber hat es in Ihnen nicht auch Verzweiflung ausgelöst, als Sie die Propaganda-Bilder der zerstörten Kirchen und kulturellen Stätten sahen?

Ich ging mit einigen Leuten an die Grenze des Gebiets der kurdischen Peschmerga und des IS in der Ninive-Ebene, auf einen hohen Berg. Es war sehr gefährlich. Aber von dort aus konnte ich meine Stadt sehen: Die St.-Barbara-Kirche, ein paar Details aus dem Zentrum. Es war sehr ermutigend für meine Leute, als ich ihnen mitteilen konnte, dass nicht alles zerstört war. Die Hoffnung lebte weiter. Nach der Befreiung der Ninive-Ebene konnten die Menschen wieder zurückkehren und nach ihren Häusern schauen. Für manche war das traurig: Viele Häuser waren verbrannt, zerstört, beschädigt, geplündert. Eine elende Situation. Doch danach ging es an den Wiederaufbau.

Wie viele Christen sind nach Karamlesch zurückgekehrt?

Vor 2014 waren es 820 Familien, zurückgekehrt sind 345.

Wie viele Christen haben den Irak verlassen?

Ich schätze, so etwa 300.000.

Von außen könnte man denken: Der IS ist besiegt, alles ist wieder gut im Irak. Aber der Eindruck ist wahrscheinlich falsch.

Wir haben unsere Herausforderungen. In der Ninive-Ebene gibt es schiitische Milizen, die Wirtschaft läuft schlecht, der Wiederaufbau geht schleppend voran. Auch deswegen könnte der Besuch des Papstes ein wichtiges Signal sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Nicolai Franz

Weiterführende Links

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