„Zwölf Stämme“: Entziehung des Sorgerechts war rechtens

In der Gemeinschaft der „Zwölf Stämme“ gehört körperliche Züchtigung und das Schlagen auch kleiner Kinder zum Alltag. Nun entschied der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass es rechtens war, für einige Kinder aus der Gemeinschaft das Sorgerecht zu entziehen.
Von Jörn Schumacher
Der pro-Reporter Manuel Steinert lebte für acht Wochen in der „Twelve Tribes“-Community in Oneonta/NY (USA) und berichtete von einer Gemeinschaft, in der die Liebe im Vordergrund stehen soll, in der aber auch geschlagen wird

Die Sekte mit dem Namen „Zwölf Stämme“ wurde in 1973 in den USA gegründet. Die Anführer der Religionsgemeinschaft halten Rutenschläge gegen Kinder für gottgewollt. Sie begründen diese Haltung mit der Bibel. Kinder unter 14 Jahren und sogar Babys werden „gezüchtigt“, wenn sie nicht auf Befehl stillsitzen, in der Schule stottern oder nicht richtig vorlesen. Ein Bericht von RTL, bei dem ein Reporter heimlich Aufnahmen aus der Gemeinschaft machte, sorgte für Schlagzeilen. Die deutsche Polizei holte 2013 rund 40 Kinder aus zwei Gemeinschaften der Sekte in Bayern.

Dagegen klagten vier Elternpaare vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Behörden hätten gegen ihr Recht auf Privat- und Familienleben verstoßen, argumentieren sie. Das Straßburger Gericht entschied am Donnerstag, dass die Zwangs-Unterbringung in Heimen oder Pflegefamilien nicht gegen die Menschenrechte der Eltern verstoßen. Wie der Deutsche Pressedienst (dpa) berichtet, urteilten die Richter, dass es das Risiko einer systematischen und regelmäßigen körperlichen Züchtigung von Kindern rechtfertigt, die Kinder in Obhut zu nehmen. Zwei der klagenden Familien bekamen wegen der Dauer des einstweiligen Verfahrens eine Entschädigung zugesprochen. Die Richter forderten Deutschland auf, den Familien 9.000 beziehungsweise 8.000 Euro zu zahlen. Die Urteile des Menschenrechtsgerichtshofes sind laut dpa noch nicht rechtskräftig. Die Kläger können eine Überprüfung der Entscheidung vor der Großen Kammer beantragen.

Erzieherin ohne Ausbildung verurteilt

Die Mitglieder der Sekte hatten sich im schwäbischen Ort Klosterzimmern bei Deiningen niedergelassen. Die Eltern weigerten sich, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken. Daraufhin genehmigte das bayerische Kultusministerium der Sekte eine eigene Schule. Eine Erzieherin wurde zu zwei Jahren Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt, weil sie laut Gericht ohne entsprechende pädagogische Eignung als Lehrerin in der Sektenschule arbeiten durfte. Sie hatte Prügelstrafen verhängt, wenn Schüler gestottert oder schlecht vorgelesen haben, berichtet dpa. Nach außen präsentiert sich die Sekte wie eine Hippie-Kommune, auf Fotos auf der Webseite sieht man Menschen mit langen Haaren um ein Lagerfeuer sitzen, und Kinder musizieren.

Die Religionsgemeinschaft „Zwölf Stämme“ fühlte sich in Deutschland verfolgt und zog daher nach Tschechien in die Nähe von Prag. Wie dpa berichtet, gab die Gemeinschaft Anfang 2017 bekannt, Deutschland verlassen zu haben. Ein Aussteiger beschreibt in einem Buch, wie er seine eigene acht Monate alte Tochter misshandelte. Das Kind sollte ruhig auf seinem Schoß sitzen und still sein. Als es nicht „gehorchte“, hielt der Vater es eineinhalb Stunden lang fest, drückte ihren Kopf auf ihre Brust. Das Erziehungsziel der „Zwölf Stämme“, sei „die bedingungslose Unterordnung“, sagte der Aussteiger der Süddeutschen Zeitung. Aber auch unter Erwachsenen sollen Bestrafungen an der Tagesordnung gewesen sein. „Entweder man ordnet sich 100 Prozent unter oder man hat ein Problem.“

In einem YouTube-Video, das unter dem Account „Twelve Tribes Media“ hochgeladen wurde, wird gar für Rutenschläge geworben. Seit die Züchtigung von Kindern gesetzlich verboten worden sei, sei „die Hölle los“, heißt es in dem 50-minütigen Film.

„Die Ruten liegen überall im Haus verteilt“

Ein Reporter des Christlichen Medienmagazins pro, der einen Ableger der „Zwölf Stämme“ 2016 in den USA besuchte, berichtet von einer Gemeinschaft, die sich von der Außenwelt unabhängig machen möchte und daher alles selbst macht. Den TT, wie Manuel Steinert den Namen der Gemeinschaft abkürzt, gehe es vor allem um die Liebe. „Inspiriert von der angeblichen Lebensweise der ersten Gemeinden in der biblischen Apostelgeschichte ist die Bewegung in vielen kleinen Kommunen mit jeweils etwa 30 bis 80 Mitgliedern organisiert“, berichtet er. Ein Kind körperlich zu züchtigen, sei die einzige Möglichkeit, wie man es zielführend erziehen könne, wie es Respekt vor den Regeln der Erwachsenen erlerne, sind die Mitglieder überzeugt. „Züchtigen bedeutet, das Kind mit einer etwas biegsamen Rute auf das nackte Gesäß zu schlagen. Die Ruten liegen überall im Haus verteilt, vor allem in den Badezimmern und im Klassenzimmer, in denen die TT ihre Kinder selbst unterrichten.“

Doch nicht nur die Kinder seien einer Art von Gewalt ausgesetzt, sondern auch die Erwachsenen, schreibt Steinert: einer schwer fassbaren Form von psychischer Gewalt, die auf ständiger gegenseitiger Überwachung basiert; auf Zwängen, die die Communitymitglieder durch gewisse repressive, oberflächlich kaum wahrnehmbare Verhaltensweisen gegenseitig aufeinander ausüben. „Auch dabei geht es letztendlich darum, den Willen des Einzelnen dem der Gruppe unterzuordnen. So berichten mir mehrere andere Gäste, die während meines Aufenthalts ebenfalls anwesend sind, dass sie sich ständig beobachtet und teilweise stark unter Druck gesetzt fühlen.“ Er berichtet aber auch, dass jedes Mitglied die Gruppe jederzeit verlassen könne, wenn er wolle.

Von: Jörn Schumacher

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