Frieden beginnt im eigenen Herzen

Auf dem Weltweiten Friedensindex des „Institute of Economics and Peace“ haben dieses Jahr 93 Länder ihren Status verbessern können. Trotzdem ist die Erde längst kein friedlicher Ort. Konflikt oder Frieden ist nicht nur eine politische Frage. Medien und Religionen spielen dabei ebenfalls eine Rolle. Und auch jeder Einzelne hat eine Verantwortung dafür. Ein Leitartikel von Jonathan Steinert
Von PRO
Knoten im Colt: Diese Bronzeskulptur des schwedischen Künstlers Carl Fredrik Reuterswärd steht vor dem UN-Hauptquartier in New York. Eine Kopie davon hat der Künstler dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) für dessen Einsatz für den Frieden geschenkt. Sie steht im Garten des Kanzleramtes.

Im vergangenen Jahr ist die Welt etwas friedlicher geworden. Die langfristige Entwicklung des Friedens ging in den vergangenen Jahren aber insgesamt nach unten. Das beobachtet das „Institute of Economics and Peace“. Es misst anhand von 23 Kategorien, wie friedlich Länder sind. Daraus stellt das Institut, das seinen Sitz in New York und Sydney hat, den Weltweiten Friedensindex (Global Peace Index) zusammen, eine Rangliste von 163 Ländern. Den diesjährigen hat es kürzlich veröffentlicht. Am friedlichsten ist demnach – seit 2008 – Island, Syrien steht am anderen Ende der Skala. 93 Länder haben ihren Friedensstatus im vergangenen Jahr verbessert, 68 sind abgerutscht. Unter anderem die USA, um elf Plätze auf Rang 114. Deutschland liegt auf Rang 16. Überhaupt ist laut dem Index Europa die friedlichste Region der Welt.

Dass in Westeuropa seit über 70 Jahren Frieden herrscht, ist keine Selbstverständlichkeit – weltweit und mit Blick in die Geschichte auch für Europa nicht der Normalfall. „Wir leben auf einer Friedensinsel“, sagt Rafael Biermann, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Jena, im Gespräch mit pro. Der Zweite Weltkrieg sei ein Schock für die internationalen Beziehungen gewesen. Die europäische Integration und die Ausbreitung der Demokratie seien, befördert vom wirtschaftlichen Aufschwung, wesentliche Gründe dafür, dass sich nach diesem Einschnitt eine Friedensphase etablieren konnte.

„Demokratien sind in der Regel untereinander friedlich“, weiß der Wissenschaftler aus der Forschung. Länder, die viel Kontakt miteinander haben, Handel treiben, zwischen denen also ein Austausch stattfindet, werden ihre Beziehung nicht so leicht einem Konflikt opfern, weil sie aufeinander angewiesen sind. Deshalb sei es in erster Linie ein Friedensprojekt in Europa gewesen, auf nationale Souveränität zu verzichten und stattdessen enger zusammenzuarbeiten, erklärt Biermann.

Sehnsucht nach der kleinen Welt

Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Visionäre eines vereinten und friedlichen Europas richtig lagen. Doch der Friede kann schnell brüchig werden. Siehe den Krieg in der Ukraine, der seit über zwei Jahren Opfer fordert, hierzulande aber kaum noch im öffentlichen Interesse steht. Es zeigt sich auch in Spannungen und Krisen, die es innerhalb der Europäischen Union gibt. Derzeit gewännen in vielen Ländern, die von Anfang an die europäische Einigung vorangetrieben haben, europakritische und nationalistische Bewegungen an Zulauf, beobachtet Biermann – etwa in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland, aber auch in Polen und Ungarn. Im Populismus und Radikalismus, die damit auch verbunden sind, sieht der Forscher derzeit die größte Gefahr für das „Friedensprojekt“ Europa. Auch die Flüchtlingsfrage polarisiert und spaltet die europäische und insbesondere die deutsche Gesellschaft. Darin liegt nach Biermanns Ansicht ebenfalls Sprengkraft.

Die Krisen, mit denen Europa derzeit und seit einigen Jahren zu tun hat, wie die Finanzkrise, die Bankrott-Gefahr südeuropäischer Länder, die Flüchtlingskrise und das aggressive Verhalten Russlands verunsichern viele Menschen und stellen Sicherheiten infrage. Dazu kommen oft schwer fassbare Effekte der Globalisierung, etwa die temporeiche technische Entwicklung und die vernetzte Kommunikation. „Das Gefühl vieler Menschen, in einer krisengeschüttelten Zeit zu sein, führt zu einem Prozess der Entwurzelung“, sagt Biermann. „Es gibt viele, die sich als Globalisierungsverlierer sehen, die sich in die Übersichtlichkeit einer kleinen Welt zurücksehnen und den Eindruck haben, die Situation ist nicht mehr unter Kontrolle.“

Davon zeuge auch die Wahl in den USA, die den Politik-Quereinsteiger Donald Trump für die Republikaner zum Präsidenten machte. Eine Absage der US-Bürger an das politische Establishment, zurück zu den eigenen amerikanischen Interessen. Womöglich ist auch der rauer gewordene Umgangston eine Folge dieser Verunsicherung und der damit verbundenen Ängste. Ein Weg, um sich seiner selbst zu vergewissern und sich von anderen abzugrenzen – ein brutaler wohlgemerkt.

Religion als Ursache allen Übels?

Für Biermann ist es ganz klar, was die Menschen im Bewusstsein der Krisen brauchen: Orientierung und Identität. Auch die Kirchen sieht er dabei in der Verantwortung, sowohl um Perspektiven und Orientierung zu geben, als auch ganz praktisch als Mediatoren. „Kirchen können durch ihre Autorität wirken. Man geht davon aus, dass sie Integrität haben, für etwas einstehen und Werte vertreten und deshalb mit Glaubwürdigkeit auftreten können. So wie wir das zum Ende der DDR-Zeit erlebt haben, wo die Kirchen und Kirchenvertreter zentrale Bedeutung in der Politik bekamen, können Kirchen in Zeiten der Krise Orientierung bieten – und natürlich durch den Glauben eine feste Basis fürs Leben.“

Religion spielt jedoch selbst oft in Konflikten eine Rolle, allein die Stichworte Kreuzzug und Islamistischer Terror wecken zahlreiche Assoziationen dazu, wie Gewalt im Namen einer Religion ausgeübt wurde und wird. Eine Studie des angesprochenen „Institute of Economics and Peace“ ergab, dass von 35 Konflikten im Jahr 2013 in fünf Fällen Religion und religiöse Ideologie Hauptursachen dafür waren. Oft gab es aber mehrere Ursachen, die zusammenwirkten. Häufiger waren es etwa eine ideologische oder politische Opposition, der Kampf um Ressourcen oder separatistische Bestrebungen.

In der Jerusalemer Altstadt liegen die heiligen Orte von Muslimen, Juden und Christen nah beieinander. Religion ist häufig eine Ursache von Konflikten, sie kann aber auch zum Frieden beitragen. Foto: pro/Martina Blatt
In der Jerusalemer Altstadt liegen die heiligen Orte von Muslimen, Juden und Christen nah beieinander. Religion ist häufig eine Ursache von Konflikten, sie kann aber auch zum Frieden beitragen.

Religion habe auch das Zeug zum Frieden: Sie verbinde Menschen über ethnische und soziale Grenzen hinweg. Außerdem schaffe sie einen sozialen Zusammenhalt und fördere das zivile Engagement. Auf diese Weise könne Religion einen wichtigen Beitrag zum Frieden leisten, so das Ergebnis der Studie. Der Dialog zwischen verschiedenen religiösen Gruppen sei eines der wichtigsten Werkzeuge, um Konflikte beizulegen.

Heikle Mission

Der Jenaer Friedensforscher Biermann erklärt, dass auch in religiös motivierten Konflikten das Glaubensbekenntnis selbst oft nicht das eigentliche Problem sei. „Die Identität der einzelnen Konfliktparteien definiert sich häufig über Religion. Die Katholiken und Protestanten in Nordirland definieren sich über die Religion und werden auch so wahrgenommen. Auch wenn der Konflikt kein religiöser ist, sondern ein territorialer.“ Religion bewege sich zwischen Konflikt und Frieden auf einem schmalen Grat, weil jede Religion – und vor allem die monotheistischen – einen Wahrheitsanspruch habe, der leicht in Intoleranz umschlagen könne.

Ähnlich verhalte es sich mit dem Missionsgedanken. Auf der anderen Seite gehe es bei den meisten Religionen im Kern um eine Versöhnung zwischen Gott und Mensch. „Das ist gleichzeitig eine Friedensbotschaft, die Potenzial freisetzen kann für Versöhnungsprozesse“, erklärt Biermann. Das hat er in den Konflikten auf dem Balkan beobachtet, wie auch im Nahostkonflikt. In diesem Zusammenhang sieht Biermann auch Persönlichkeiten wie etwa Desmond Tutu, der als anglikanischer Geistlicher in Südafrika eine wesentliche Rolle im Versöhnungsprozess nach dem Ende des Apartheidregimes spielte.

Dem Frieden in den Medien eine Chance geben

Wer Krieg führt – Militärs genauso wie auch Terroristen –, weiß um die Macht der Öffentlichkeit und die Wirkung von Bildern. Kriege und Konflikte sind deshalb auch immer Kämpfe um die Deutungshoheit derselben. Journalisten haben daher eine große Verantwortung, wenn sie über Konflikte berichten. Denn sie können durch ihre Berichterstattung gewollt oder ungewollt Stimmungen aufheizen und einen Konflikt verschärfen. Oder aber auch den Blick auf Lösungsvorschläge, Präventions- und Versöhnungsprozesse lenken. Nur ist das seltener der Fall, denn aufregender, anschaulicher und damit für Medien potenziell interessanter sind Panzer, Bomben, Feuer, Opfer – weniger langfristige, mühsame diplomatische Verhandlungen im Vorfeld oder danach.

Das stellt auch Friedensforscher Biermann fest: „Leider gibt es wenige Berichte von Konflikten, die noch in einem gewaltlosen Zustand sind, wo sich etwas anbahnt. Medien und Politik fokussieren auf Konflikte, die schon ausgebrochen sind. Deshalb hat es Prävention sehr schwer, insbesondere die Frühwarnung und Früherkennung.“

Um den Frieden in den Medien eine Chance zu geben, könnte der Journalismus als Mediator fungieren. Die Berichterstattung könnte den Konfliktparteien helfen, ihre gegenseitigen Fehlwahrnehmungen zu überwinden, die den Konflikt anheizen, schreibt der österreichische Psychologe und Friedensforscher Wilhelm Kempf in einem Aufsatz.

Nobelpreis für den Frieden: Die Anti-Atomwaffen-Kampagne ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) wurde in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Hier eine Aktion der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“, einer Partnerorganisation von ICAN. Foto: atomwaffenfrei. jetzt, flickr
Nobelpreis für den Frieden: Die Anti-Atomwaffen-Kampagne ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) wurde in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Hier eine Aktion der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“, einer Partnerorganisation von ICAN.

Selig sind, die Frieden stiften

Wir haben offenbar verlernt und vergessen, was Jesus vorgelebt hat: Er sah den einzelnen Menschen als Mitmenschen. „Er sah über die äußeren Erkennungszeichen hinweg auf den innewohnenden Wert des Menschen, den er mit ihm teilte, einen Wert, den er mit ihm gemein hatte, einen Wert, in dem ein gemeinsamer göttlicher Funke lebte.“ So formuliert es der amerikanische Friedensforscher und Autor John Paul Lederach in seinem Buch „Vom Konflikt zur Versöhnung“.

Wer im anderen ein Ebenbild Gottes sieht, kann in ihm kein Feindbild aufbauen, erklärt er. Dazu muss man nicht auf die Konflikte dieser Welt schauen: Das gilt für die eigene Haltung gegenüber Politikern des Establishments genauso wie gegenüber Wählern und Politikern der AfD, für den muslimischen Migranten wie für den einheimischen Freikirchler, für die alleinerziehende Mutter ebenso wie für den schwulen Nachbarn. Frieden beginnt dabei, wie wir mit und über andere reden, über sie denken und ihnen begegnen.

„Zum Wesen des Friedens Christi gehört es, gegeben und weitergegeben, geschenkt und bezeugt zu werden, damit immer mehr Menschen aus dem Frieden leben können.“ Friedensdenkschrift der EKD

„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“, sagt Jesus seinen Jüngern in der Bergpredigt und gibt dem Bemühen um Frieden damit eine geistliche Bedeutung. Den Frieden mit Gott hat Jesus selbst gestiftet. Das ist die Basis für und der Kern der weihnachtlichen Verheißung „Frieden auf Erden“: Wenn Menschen mit Gott versöhnt sind, liegt darin eine Kraft, diesen Frieden auch in unsere Beziehungen hineinzunehmen. „Zum Wesen des Friedens Christi gehört es, gegeben und weitergegeben, geschenkt und bezeugt zu werden, damit immer mehr Menschen aus dem Frieden leben können“, heißt es in der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Irdischer Friede wird immer brüchig bleiben, weil die Beziehung der Menschheit zu Gott grundlegend gestört ist, sagt die Bibel. Doch mit dem „Friedensfürsten“, dessen Geburt wir zu Weihnachten feiern, öffnet sich eine neue Perspektive: „Im Gebet für den Frieden […] bringen Christenmenschen zum Ausdruck, dass die Sorge für den Frieden der Welt Rückhalt findet im Vertrauen auf den Frieden Gottes, ‚der höher ist als alle Vernunft‘“, heißt es in der Denkschrift weiter. „Im Gebet wird zum Ausdruck gebracht, dass Menschen im Einsatz für den Frieden auf Erden auf Gottes Geist angewiesen sind und dass Gott die Mitarbeit des Menschen will.“ Für Frieden in der Welt müssen nicht nur Politiker sorgen. Frieden fängt bei jedem Einzelnen an.

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