Der Dschihadist von nebenan

Erst ist er ein schüchterner Junge aus Solingen, dann verübt er für die Terrorgruppe Isis einen Selbstmordanschlag im Irak. Wie aus Robert Baum der Islamist Abdul Hakim wurde, schildert Michael Ortmann, Terrorexperte bei RTL und n-tv.
Von PRO
Robert Baum wollte kämpfen - seine eigene Bombe riss ihn vermutlich in den Tod
Der junge Mann mit den weichen Gesichtszügen und dem sanften Lächeln wirkt unscheinbar, geradezu schüchtern. Robert Baum ist niemand, dem man Schlimmes zutraut. Der nette Junge von nebenan, das kommt vermutlich vielen schnell in den Sinn. Doch dieses Bild greift zu kurz, ist lediglich das Ergebnis einer flüchtigen Betrachtung. Denn wer seinen Blick über das Bild aus dem Internet wandern lässt, der sieht den netten Solinger mit einem Sturmgewehr im Anschlag, aufgenommen irgendwo in Syrien. Es zeigt einen anderen Robert Baum. Einen, der für die Isis kämpfte, eine der brutalsten Terrororganisationen der Moderne. Doch was um alles in der Welt ist mit ihm passiert? Wieso wird der Junge aus Solingen zum Schlächter in Syrien? Warum um alles in der Welt will der Junge mit dem sanften Lächeln jetzt auf einmal töten?

Mit Hänseleien in der Schule ging es los

Viele stellen sich diese Frage. Die Mutter von Robert, Marlies Baum, ganz bestimmt. Immer wieder sucht sie nach Antworten, vermutlich hat es ihr in vielen Nächten den Schlaf geraubt. Auch seine Lehrer stellen sich höchstwahrscheinlich die Frage. Und ohne Zweifel auch viele seiner Freunde und Bekannten aus Solingen, das etwa 30 Kilometer von Köln entfernt liegt. Eine schlüssige Antwort hat aber auch von ihnen keiner bekommen. Sicher ist, Roberts Leben war anstrengend. In der Schule ist er ein Außenseiter. Er wird gehänselt, verachtet und ist einsam. Am Ende bricht er die Schule fast zwangsläufig in der neunten Klasse ab. Als er 13 Jahre alt ist, stirbt sein Vater an Krebs. Ein einschneidendes Erlebnis, ohne Frage. Irgendwann in dieser Zeit reift eine Idee heran. Er will jetzt zur Bundeswehr, er will Panzer fahren. Der Unscheinbare, der Zurückhaltende, der Schüchterne sucht sein Seelenheil in einer stählernen Hightech Waffe. Ein gefährlicher Koloss, mit dem man vortrefflich Schüchternheit und Angst übertönen kann. Und er will in den Krieg nach Afghanistan. Mit der Bundeswehr und noch mit internationalem Mandat. Doch seine Vorgesetzten sehen ihn nicht an vorderster Front. Ein banaler Bürojob wird ihm zugewiesen. Kein Panzer, kein Auslandseinsatz, Roberts Leben bleibt gewöhnlich. Irgendwann muss er nach neuer Sinngebung gesucht haben. Und dabei gerät er in den Sog rechter Gesinnung. Zu seinem Wortschatz gehören nun Naziparolen und ausländerfeindliche Phrasen. Er ist vermutlich nur ein Mitläufer, jemand, der sucht und nimmt, was er gerade findet. Ein bekanntes Phänomen in vielen Kreisen. Auch in extremistischen. Erst recht in dschihadistischen. Immer wieder tauchen dort Lebensläufe mit kleinen und großen Brüchen auf. Einige waren vorher kriminell, andere Kiffer oder Schläger, alles Sinnsucher, nur mit dem Koran hatten viele nichts zu tun.

Vom Rechtsextremismus zum Islam

2009 verliert das rechte Lager scheinbar schnell an Strahlkraft. Vermutlich sind es wieder Freunde oder Bekannte die ihm einen neuen Weg der Selbstfindung aufzeigen. Denn nun wird Robert Moslem und nennt sich Abdul Hakim. Doch gläubig zu sein allein reicht ihm nicht. Er will es radikal. Und so wird aus dem früheren Atheisten fast übergangslos ein radikaler Islamist. In den extremistischen Zirkeln von Bonn, Solingen, Köln und Hamburg ist er nun unterwegs. Angezogen von der ultrakonservativen Koranauslegung findet er scheinbar nun, wonach er sich lange gesehnt hat. Einfache Antworten auf hochkomplexe Lebensfragen – und Anerkennung, Freundschaft, Abenteuer und Zugehörigkeit unter Extremisten. Er wird Teil einer verschworenen Gemeinschaft, einer Allianz mit dem Ziel, den unterdrückten Moslems in der Welt helfen. Ein hehres Ziel für jemanden, der sein eigenes Leben kaum in den Griff bekommt. 2011 explodiert die Welt in der Ferne. Syrien wird zum Kriegsschauplatz und zum Ziel dschihadistischer Terrorfantasien. Über 200 Gruppen bekämpfen sich dort bis aufs Blut. Isis, was so viel bedeutet wie Islamischer Staat im Irak und Syrien (oder auch Levante, Großsyrien) ist die größte und brutalste unter ihnen. Und gerade in den Schlagzeilen und scheinbar auf dem Durchmarsch. Mit geschätzten 10.000 – 15.000 Kämpfern aus allen Ländern der Welt fegt die Gruppe über den Irak hinweg. Sie erobern Städte wie Mossul oder die Provinzen Ninive oder Anbar im Sturm und sind dabei so erfolgreich wie nie. In Mossul fallen ihnen zum Beispiel nicht nur hochmoderne Waffen der davongelaufenen Soldaten der irakischen Armee in die Hände, sondern auch die Geld- und Goldreserven der Stadt in Höhe von 430 Millionen Dollar. Damit lässt sich viel Terror und Tod finanzieren. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Staates in Syrien und dem Irak, sowie im Libanon, Israel und Jordanien. Und unterstützt werden sie dabei von einigen sunnitischen Kräften, die sich von der schiitischen Regierung al-Malikis unterdrückt fühlen. Robert Baum beschäftigt zu dieser Zeit zum ersten Mal die Sicherheitsbehörden und die Medien. Am 15.7.2011 werden er und ein Freund namens Christian E. in Dover bei der Einreise nach Großbritannien von einer Spezialeinheit festgenommen. Sie haben verbotenes Propaganda-Material dabei. „39 Schritte, den Dschihad zu unterstützen“ und eine gedruckte Ausgabe des englischsprachigen Onlinemagazins „Inspire“ des Terrornetzwerkes Al Kaida. Zudem finden sich auch Bombenbauanleitungen im Gepäck. Wo die jungen Männer hinwollen, verraten sie nicht, wohin sie gehen, ist nachvollziehbar: in Untersuchungshaft.

Freilassung auf Bewährung führt zur Katastrophe

Roberts Freund Christian E. ist bereits mehrfach vorbestraft und hat großen Einfluss auf ihn. Christian führt und Robert folgt. Vermutlich ist es wie immer eher die Angst vor der Einsamkeit und die Sehnsucht nach Führung, die Robert in die Hände anderer treibt, als der Hang zum Extremismus. Dennoch, Robert geht mit, wohin es andere zieht. Ein Jahr später, also 2012, werden dann beide in London zu Haftstrafen verurteilt. Da aber die U-Haft angerechnet wird, kommt er zur Bewährung frei. Doch geläutert ist er nicht, er bleibt er unruhig. Sofort beteiligt er sich an der Verteilung kostenloser Koranexemplare in deutschen Städten. Spätestens jetzt wird deutlich: Robert ist auf einer Mission und es wird eine Reise ohne Wiederkehr. Doch das ahnt er noch nicht. Das letzte, was wir noch wissen, ist, dass er eine Sprachschule in Ägypten besucht. Anschließend taucht er noch einmal kurz in Deutschland auf, dann ist er weg. Seine Mutter Marlies hat noch Kontakt zur Polizei, doch ihr Sohn ist da längst schon auf dem Weg in den Krieg. Wie geschätzte 330 andere Deutsche auch. Der nette und schüchterne Junge aus Solingen ist jetzt bei einer der brutalsten Islamistengruppe in Syrien untergekommen: der Isis.

Terror-Kampagne auch im Internet

Isis ist eine moderne Rebellenformation ganz nach dem Geschmack der jungen wilden Dschihadisten. Sie sind in allen sozialen Netzen vertreten, sie twittern, liken und posten beinahe jede Minute ihre vermeintlichen und tatsächlichen Erfolge und stellen Videos und Fotos ins Netz, die selbst für Hartgesottene kaum zu ertragen sind. Junge Männer strahlen über das ganze Gesicht und präsentieren dabei stolz abgeschlagene Köpfe, sie gehen mit der Kamera auf zerstückelte Leichen zu und rufen dabei inbrünstig Allahu Akbar (Gott ist groß). Sie zeigen sich mit Stolz geschwellter Brust und einem Lächeln auf den Lippen, während sie gerade einem oder mehreren Unbekannten eine Kugel hinterrücks in den Schädel jagen. Schon früh war die 2003 gegründete Organisation vor allem eins: grausam. Und dieses Image hegen und pflegen sie mit Hingabe. Unter ihrem früheren Chef Abu Musab az-Sarqawi richtete sich ihr Hass gegen jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Das waren Politiker, Soldaten, Zivilisten, Kurden, Schiiten, völlig egal. Und natürlich auch Christen. Wer nicht mit ihnen ist, ist gegen sie. Und wer gegen sie ist, der muss sich fürchten. Zwar hatte man vorher auch schon ähnliche Drohgebärden aus den USA unter George W. Bush vernommen. Doch jetzt ist es die radikale und menschenverachtende Agenda von Extremisten. Und Feinde entführte man oder erschoss sie gleich. Erst später entdeckten sie die mediale Wucht der großen und gezielten Anschläge mit zahlreichen Toten und betten sie gleich in eine neue Strategie ein. Und die trug tödliche Früchte. Allein im Jahr 2007 starben fast 2.000 Menschen bei Anschlägen. Zwischen 10.000 und 15.000 Mann stehen der Isis zur Verfügung, so Schätzungen. Nachdem nicht nur Sarqawi, sondern auch seine Nachfolger Abu Ayyub al-Masri (getötet 2010) und Abu Abdullah al-Rashid al Baghdadi (getötet 2010) im selben Jahr ums Leben kamen, ist nun Abu Bakr al-Baghdadi Chef der Killerbrigade, ein ehrgeiziger und rücksichtsloser Herrscher.

Ein Tod wie zu viele andere

Er legte sich mit Zawahiri an, dem untergetauchten Al-Kaida-Chef und Nachfolger von Osama bin Laden, und er kennt nur ein Ziel: Er will ein möglichst große Gebiet erobern und umbauen, in einen Staat ganz nach seiner radikalen Fasson. Es ist eine Utopie, der sie hinterherjagen. Kaum ein Experte, der diese Vision für möglich hielt. Und noch immer ist Skepsis angebracht. Denn die Erfolge sind zwar beeindruckend, aber noch ist aus den Eroberungen kein Staat geworden, und die Gegner formieren sich. Welche Aufgabe innerhalb der Isis Robert Baum hatte, ist unbekannt. Ob er auch für andere Gruppen kämpfte, wissen wir nicht. Ob er glücklich war oder verzweifelt, ob er endlich gefunden hatte, was er immer suchte oder ob er am Ende leer ausging; alle diese Fragen bleiben unbeantwortet. Denn Robert, der Mann mit dem schüchternen Lächeln, der nette Junge von nebenan, ist tot. Er kam bei einem Selbstmordanschlag ums Leben. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/weltweit/detailansicht/aktuell/irak-ein-ort-an-dem-man-nicht-mehr-leben-sollte-88383/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/weltweit/detailansicht/aktuell/keine-christen-mehr-in-mossul-88314/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/dschihadisten-in-deutschland-88247/
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