Brücken bauen und Beziehungen gestalten

Norbert Heide arbeitet als Schulseelsorger. Schüler und Lehrer konfrontieren ihn mit vielen Problemen: Mobbing, Burnout und Selbstmordgedanken.
Von PRO
In seinem Büro hört sich der Schulseelsorger Norbert Heide die Sorgen und Nöte seiner Schützlinge an

In dem kleinen Zimmer von Norbert Heide stehen zwei Sessel, dazwischen ein kniehoher Tisch mit Kerzen. Das Büro des Schulseelsorgers hat außerdem noch einen Schreibtisch sowie Regale, in denen zahlreiche Bücher stehen. Auf dem Sideboard liegen Info-Materialien, die über die Arbeit des Seelsorgers informieren. Heide ist Ansprechpartner für Schüler, Lehrer und Bedienstete der Theo-Koch-Schule im mittelhessischen Grünberg.

Der Theologe ist seit eineinhalb Jahren mit 50 Prozent als Schulpfarrer und mit 50 Prozent als Dekan tätig. Die Theo-Koch-Schule ist mit 1.450 Schülern und 150 Lehrern die größte im Landkreis Gießen. Heide unterrichtet dort in den 5. Klassen und in der Oberstufe Religion. Zwei Mal pro Woche ist er in seinem Büro oder in der Mensa für die Nöte und Sorgen der Schüler und Lehrer da. Als Schulseelsorger möchte er junge Menschen neugierig machen auf die „Sache mit Jesus und Gott“.

Der Theologe möchte ihnen in Notsituationen Zeit und Gehör schenken. „Einige Probleme können wir gemeinsam bewältigen“, sagt Heide, der sich als Anwalt und Fürsprecher für die Schwachen und Benachteiligten versteht. „Alle Menschen wurzeln in der Gnade Gottes“, steht in der Info-Broschüre des Schulseelsorgers.

Sternstunden und Auszeiten im Advent

Bei Bedarf können seine Gesprächspartner auch außerplanmäßig Termine mit ihm vereinbaren. Heide wirbt mit dem Motto „Gemeinsam geht es leichter!“ für seine Arbeit. Schüler dürfen auch während des Unterrichts in sein Büro kommen. Zur Bestätigung, dass ein Schüler bei ihm war und nicht geschwänzt hat, füllt Heide einen Zettel aus. Heides Stelle entstand als Kooperation zwischen der Landeskirche und der Schule. Ob eine Schule einen Seelsorger hat, ist nicht von der Schülerzahl abhängig. Dienstvorgesetzter ist das kirchliche Schulamt. Für Schulpfarrer gelten alle Pflichten normaler staatlicher Lehrkräfte.

Heide schafft auch geistliche Angebote im Schulalltag. Er bietet Gottesdienste zu Beginn und am Ende des Schuljahres sowie nach dem Abitur an. Im Advent gibt es „Sternstunden“. Dann lädt Heide gemeinsam mit dem gesamten Religions-Fachbereich vor dem Unterricht zu einer Tasse Tee und Plätzchen in die Schulküche ein. „Das Angebot wird gut angenommen, da die ersten Schüler schon um 7 Uhr in der Schule sind.“

Was die Menschen ihm anvertrauen, fällt unter das Seelsorge-Geheimnis. „In der Schulseelsorge kann die Kirche auch für Kirchen- und Gemeindeferne nah bei den Menschen sein“, ist sich der Theologe sicher. Er begegnet vielen verschiedenen Problemen: Scheidungskinder, Mobbingopfer, familiäre Probleme, verursacht durch Alkoholmissbrauch. Oberstufenschüler kommen mit Beziehungsthemen zu ihm, manche wollen nicht mehr leben. Lehrer sind ausgebrannt. Denjenigen, die sich ihm anvertrauen, will er mit Respekt und der nötigen Distanz begegnen.

Das Wirkungsfeld von Norbert Heide ist die Theo Koch-Schule Foto: pro/ Johannes Blöcher-Weil
Das Wirkungsfeld von Norbert Heide ist die Theo Koch-Schule

Einmal wurde Heide aus einer Konferenz herausgerufen. Er musste einem Schüler die Nachricht überbringen, dass sein Vater schwer verunglückt sei und dessen Leben am seidenen Faden hing. Die Frage, warum Gott schlimme Dinge zulässt, findet Heide schwierig zu klären: „Die Theodizee-Frage kann ich nicht beantworten. Ich sichere den Schülern aber zu, dass ich sie bei ihren Problemen weiter begleite.“

Der Erfolg der Arbeit ist schwer messbar. Heide bekommt aber durchaus positive Rückmeldungen, wenn sich bestimmte Probleme gelöst haben. „Einmal klingelte nachts um 3 Uhr mein Handy. Nach dem, was ich gehört habe, war klar, dass ich gebraucht werde. Ein Paar hatte sich getrennt.“ Der eine Partner rief Heide verzweifelt an. Aus Angst, er könne sich etwas antun, machte sich der Theologe auf den Weg. Jetzt geht es dem Betroffenen wieder besser: „Und trotzdem erinnert er sich an die Zeit, in der es ihm schlecht ging. Das hat er mir neulich schriftlich in einem Dankesbrief mitgeteilt.“

Beim Gang über den Schulhof fällt ein freundliches Wort hier und ein „Hallo“ dort. Einige Schüler kennt er aus der Jugendarbeit. Er schätzt auch die gute Kooperation mit der Schulsozialarbeit. Die Herangehensweisen an die Probleme sind unterschiedlich, aber die Angebote ergänzen sich aus Heides Sicht gut. Beim Mittagessen in der Mensa tauscht er sich mit dem Sozialarbeiter aus.

Gerne macht er auch thematische Angebote und Bildungsreisen für bestimmte Zielgruppen. Mit zwölf Jungs und den Jugendreferenten des Dekanats geht es im Februar für vier Tage nach Berlin. Die Tage gestaltet er zum Thema „Schein oder Sein“. Einen Besuch im Museum der Illusion hat er geplant, aber es stehen auch die Fragen auf dem Programm, die Bestandteil seiner Begegnungen in der Schule sind: „Wer bin ich?“ und „Wer will ich sein?“ Und dann will er mit den Jungs auch über den Theo-logen Dietrich Bonhoeffer reden, der sich ähnliche Fragen gestellt hat. Weil der Religionsunterricht verfassungsmäßig verankert ist, wird Schulseelsorge auch in Zukunft von der Landeskirche finanziell unterstützt, sagt Heide. „Die Kirche merkt, dass das ein wichtiges Arbeitsfeld ist und dass wir den Menschen unsere Botschaft vermitteln können.“ Sein Angebot versteht Heide als überkonfessionell. Auch muslimische Kinder sind schon zu ihm gekommen. Sie fragten ihn an, weil sie unter dem strengen Glauben und Vorschriften ihrer Eltern litten.

Bevor Heide nach Hessen kam, unterrichtete er in einem Chemnitzer Stadtbezirk mit einer Kirchenzugehörigkeit von unter einem Prozent. „Von 32 Schülern waren zwei getauft.“ Ihnen hat er die Grundlagen des christlichen Glaubens von der Pike auf beigebracht. Fünf Schüler sind nach ihrem Abschluss als Lehrer oder Gemeindereferenten in den kirchlichen Dienst gegangen.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 6/2018 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos hier.

Von: Johannes Blöcher-Weil

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