Kirchen: „Minderheiten in Flüchtlingsheimen schützen“

In einer gemeinsamen Erklärung fordern die führenden Repräsentanten der beiden Großkirchen, Reinhard Kardinal Marx und Heinrich Bedford-Strohm, die Bedingungen für Minderheiten in Asylbewerberheimen zu verbessern. Eine nach Religionen getrennte Unterbringung sei jedoch keine Lösung.
Von PRO
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, hat sich zur Diskriminierung von Minderheiten in Flüchtlingsheimen geäußert
Mit einer gemeinsamen Stellungnahme zur Situation von christlichen Flüchtlingen und Angehörigen religiöser Minderheiten in deutschen Asylbewerberunterkünften haben sich am Dienstag der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Kardinal Reinhard Marx, und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, an die Öffentlichkeit gewandt. Darin drücken sie ihre Solidarität mit ihnen aus, wenn diese Opfer von Übergriffen und Diskriminierung geworden sind. Zu solchen Vorfällen haben die DBK und die EKD in den zurückliegenden Monaten nach eigenen Angaben Umfragen unter den Diözesen und Landeskirchen sowie bei den kirchlichen Organisationen, die mit der Unterbringung von Flüchtlingen betraut sind, durchgeführt.

„Religiöse Aversionen als Ursache sind Einzelfälle“

Nach der Untersuchung sei eine „flächendeckende und systematische Diskriminierung von Christen und anderen religiösen Minderheiten in Asylbewerberunterkünften“ nicht festzustellen. Die Stellungnahme konstatiert, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen vielerorts gelinge. In den Asylbewerberunterkünften vermische sich ein den Umständen geschuldetes erhöhtes Konflikt- und Gewaltpotenzial „im Einzelfall auch mit religiösen Aversionen“. Marx und Bedford-Strohm raten, „nicht jede Auseinandersetzung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit sollte deshalb als religiös motivierter Konflikt klassifiziert werden“. Den Kirchen lägen auch Berichte vor, „wonach Christen und andere religiöse Minderheiten aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit Ablehnung, Einschüchterung, Benachteiligung oder sogar Gewalt erfahren“ hätten. Dies gelte insbesondere für Berlin. Niemand sei derzeit in der Lage, genaue Zahlen vorzulegen. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“, erklärten Marx und Bedford-Strohm und sprachen sich gegen einen Bagatellisierung der Vorfälle aus. Die Stellungnahme sieht „Anlass zu einer differenzierten Betrachtung“, macht jedoch keine konkreten Angaben über die Anzahl der Befragungen in Diözesen, Landeskirchen und kirchlichen Einrichtungen in Deutschland.

Kritik an Open Doors bleibt

Im Mai hatte die christliche Hilfsorganisation Open Doors eine Dokumentation veröffentlicht, die zu dem Ergebnis gekommen war, dass Übergriffe und Repressalien seitens Muslimen gegen Christen und andere Minderheiten in den Flüchtlingsunterkünften vornehmlich religiös motiviert sind. Diese Dokumentation war wegen sachlicher Unschärfe, aber auch wegen des darin versteckten Vorwurfes an die Kirchen, sich nicht genügend solidarisch mit den verfolgten Glaubensgeschwistern zu zeigen, kritisiert worden. Die Kritik an der Open-Doors-Dokumentation haben die Kirchenvertreter in ihrer Stellungnahme aufrecht erhalten: „An der allgemeinen Aussagekraft einer Anfang Mai 2016 vorgelegten Erhebung zu ‚religiös motivierten Übergriffen gegen christliche Flüchtlinge‘ bestehen erhebliche Zweifel“, heißt es. Die beiden großen Kirchen hätten Berichte über religiös motivierte Konflikte in Asylbewerberunterkünften „von Beginn an sehr ernst“ genommen, erklärten Bedford-Strohm und Marx. „Wer wären wir, wenn uns das Schicksal der christlichen Schwestern und Brüder kalt ließe, die vor Verfolgung in der Heimat geflohen sind!“. In den zahlreichen Beiträgen zur Sache erkennen die beiden Vorsitzenden „neben viel gutem Willen zur Wahrheit und einem echten Interesse an der Lage von Christen auch ein beträchtliches Maß an Heuchelei“, heißt es in der Stellungnahme. Dem Eindruck Marx‘ und Bedford-Strohms nach scheinen die Probleme in Asylbewerberheimen für manche „ein willkommener Anlass zur Propaganda gegen muslimische Flüchtlinge und den Islam im Allgemeinen zu sein“. Markus Rode, Leiter Open Doors Deutschland bedauert, dass die beiden Kirchen immer noch Zweifel an der Erhebung seiner Organisation hegen, obwohl sie die Ergebnisse im Kern nun selbst bestätigt hätten. „Wir wünschten uns, dass die Kirchenvertreter, die in ihrer Erhebung überhaupt keine spezifischen Kennzahlen benennen können oder wollen, beim Schutz der Flüchtlinge mit Open Doors an einem Strang ziehen würden, anstelle die Ergebnisse der Erhebung immer wieder in Frage zu stellen“, erklärte Rode auf Anfrage von pro.

Beschäftigte sollen interreligiöse Kompetenz vorweisen

Marx und Bedford-Strohm richten sich mit ihrer Stellungnahme an die Verantwortlichen in Flüchtlingsunterkünften als auch an Bund, Länder und Kommunen. Sie bitten nachdrücklich darum, „dass Missstände abgestellt und problematische Strukturen überwunden werden.“ Eine getrennte Unterbringung von Menschen unterschiedlicher Religions- und Konfessionszugehörigkeit ist nach dem Votum von Marx und Bedford-Strohm „generell nicht zu empfehlen“. Open Doors hatte dies zum besseren Schutz der Minderheiten gefordert. Nur wenn in einer Unterkunft der Schutz von Minderheiten nicht gewährleistet sei, könne eine getrennte Unterbringung eine sinnvolle Lösung sein, heißt es in der Stellungnahme von Rat und Bischofskonferenz. Als Beispiel für ein gelingendes Unterbringungskonzept führen sie die von Maltesern praktizierte „Kultur der religiösen Achtsamkeit“ an, die Gebetsräume für möglichst alle dort vertretenen Religionsgemeinschaften anbiete. Marx und Bedford-Strohm sprachen eine Reihe weiterer Empfehlungen aus, darunter, ein „professionelles Konflikt- und Beschwerdemanagement“ zu schaffen, das zum Abbau von Spannungen beitragen soll. Bei der Belegung der Heime solle darauf geachtet werden, dass jedem Bewohner „Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung stehen“ und die Wünsche der Bewohner berücksichtigt werden. Zudem sollten Angehörige verschiedener Religionen oder Herkünfte im Sinner einer „kultursensiblen Zimmerbelegung“ innerhalb einer Unterkunft nicht im selben Zimmer untergebracht werden. Neben einer adäquaten psychosozialen Betreuung und der Möglichkeit einer sinnvollen Tätigkeit der Asylbewerber fordern die Geistlichen „grundlegende interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen“ sowie ein erweitertes Führungszeugnis aller, die in den Unterkünften tätig sind. Zudem sollten den Mitarbeitern regelmäßig Fortbildungen angeboten werden. Bei Sicherheitskräften, Dolmetschern und Übersetzern sei darauf zu achten, „dass ihr weltanschaulicher Hintergrund nicht zur Diskriminierung von religiösen Minderheiten beiträgt“. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/bedford-strohm-uebergriffen-gegen-christen-in-fluechtlingsheimen-nachgehen-96759/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/fluechtlingskongress-integration-beginnt-im-kopf-96684/
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