„Viele schalten ab, wenn sie Jesus hören“

Die Hildesheimer Pastorin Nora Steen predigt beim kommenden Evangelischen Kirchentag im Abschlussgottesdienst. Bekannt wurde sie als Sprecherin des „Wort zum Sonntag“. pro hat sie gefragt, wie sie das Evangelium ins Fernsehen bringt.
Von PRO
Nora Steen spricht regelmäßig vor zwei Millionen TV-Zuschauern über den Glauben

pro: Frau Steen, das Wort zum Sonntag erreicht wöchentlich 2 Millionen Menschen. Könnte man sagen, es ist die größte Missionsplattform, die die Kirche hat?

Nora Steen: Nein, ich bin der festen Überzeugung, dass die Gemeinden vor Ort zusammen die größte Missionsplattform sind. Da beten Christen gemeinsam, da tauschen sie sich über das aus, was sie bewegt, da feiern sie Abendmahl, da passiert das allermeiste. Das Wort Mission wird heute in bestimmten Kreisen nicht so gerne in den Mund genommen. Dennoch finde ich, dass Mission die Kernaufgabe der Kirche heute ist. Jesus hat uns die Verkündigung des Evangeliums schließlich aufgetragen. Das Wort zum Sonntag ist allerdings nicht in erster Linie an Menschen gerichtet, die sowieso in die Kirche gehen. Die Zuschauer bleiben zum Großteil nach den Tagesthemen daran hängen, oder, weil sie die nachfolgenden Sendungen sehen wollen. Deshalb müssen wir auf unser Vokabular achten, und darauf, was wir sagen. Ich frage mich immer beim Schreiben der Worte: Was lassen die Menschen an sich heran? Wie kann ich sie erreichen?

2013 hat der Christliche Medienverbund KEP Sie dafür kritisiert, dass Sie in einem Wort zum Sonntag zur Weihnachtszeit nicht von Jesus gesprochen haben. So verkomme die Festzeit zu „Wellness- und Gourmetwochen“, hieß es damals in einem öffentlichen Brief. Ist Jesus zu selten Thema im Wort zum Sonntag?

Misst sich die Verkündigung daran, wie oft ich „Jesus“ sage? Ich habe nach einem Türöffner gesucht, einem Aufhänger, damit die Menschen mir zuhören. Der Schlüssel war für mich das Adventsgefühl: Kerzenduft und so weiter. Deshalb habe ich darüber gesprochen. Ich habe danach viele Zuschriften bekommen von Menschen, die daran anknüpfen konnten. Deshalb hat mich die harte Kritik überrascht. Es stimmt natürlich, dass ich Jesus nicht erwähnt habe. Aber für mich ist das nicht der alleinige Gradmesser einer guten Predigt.

Was ist für Sie der Gradmesser?

Dass Menschen durch diese vier Minuten Wort zum Sonntag Zugang zu einem Glaubensthema finden. Dass sie sich fragen, wo Gott in ihrem Leben ist und vielleicht neu beginnen, zu suchen. Jemanden, den ich nicht direkt vor Augen habe, innerhalb von vier Minuten zu missionieren, so dass er sofort sagt: Ich bin Feuer und Flamme und ändere mein Leben – das ist doch in den seltensten Fällen so und auch nicht planbar.

Ist es abschreckend, von Jesus zu sprechen?

Sie sprechen ein Problem an, für das ich auch noch keine Lösung habe. Tatsächlich schalten viele Menschen ab, wenn Sie den Namen Jesus hören. Und das, obwohl er eigentlich ein wunderbares Vorbild ist, großartige Dinge getan hat, völlig unorthodox war und kein bisschen bieder. Dennoch ist sein Image schlecht. Die Menschen verknüpfen es mit fromm und moralisch, und das wollen sie nicht hören. Beim Wort zum Sonntag müssen wir uns ständig die Frage stellen, wie wir das Evangelium mit den Worten unserer Zeit verkünden.

Welche Reaktionen haben Sie nach der Kritik an Ihrem Wort zum Sonntag bekommen?

Die Kritik hat mich nicht so getroffen, weil ich mich nun wirklich nicht schäme, Jesus zu sagen. Ich fand es schade, dass die Kritik nicht direkt an mich gerichtet wurde, sondern an die Öffentlichkeit. Danach ist aber etwas sehr Interessantes geschehen: Ich bekam viele positive Rückmeldungen. Die Leute sagten, ich solle mir den Mund nicht verbieten lassen. Negative Zuschriften kamen eigentlich keine. Im Internet wurde allerdings ordentlich über mein Wort zum Sonntag gestritten, das habe ich mitbekommen.

Reagieren fromme Christen in Ihren Augen zu harsch, wenn sie ihren Glauben angegriffen sehen?

Fromme Christen und überzeugte Atheisten, ja. Deren Kritik ist oft so ganzheitlich. Sie fordern dann direkt, die Evangelische Kirche abzuschaffen oder mich vom Bildschirm zu entfernen. Dabei möchte ich für das Evangelium werben und keinen Glauben angreifen. Natürlich kommt aber auch Kritik von denen in der Mitte. In vier Minuten ist es einfach nicht möglich, alle Bedürfnisse zu befriedigen. Und ich bemühe mich eben verstärkt um jene, die in der Kirche nicht so beheimatet sind.

Nachdem der Travestiekünstler Conchita Wurst den Eurovision Song Contest gewonnen hatte, haben Sie in einem Wort zum Sonntag von einem Freund erzählt, der eine Geschlechtsumwandlung hat vornehmen lassen. Sie warben damals für mehr Toleranz. Gab es darauf negative Reaktionen?

Es gab einige, die sich darüber beschwerten, dass ich Transsexualität gerechtfertigt hätte. Andere lobten, dass ich damals sagte, jeder Mensch sei ohne Ansehen von Gott geliebt. Und dann gab es noch Reaktionen aus dem schwul-lesbischen Kontext, die erklärten, ich hätte sie verurteilt. Weil ich damals sagte, ich fände den Bart von Conchita Wurst unästhetisch.

Sie haben 2012 ein Wort zum Sonntag während des Eurovision Song Contest gesprochen. Dabei haben Sie einen Mangel an Menschenrechten in Aserbaidschan kritisiert. Gehört Politik in eine Verkündigungssendung?

Wenn die Kirche nicht mehr politisch ist, verfehlt sie ihr Dasein. Jesus hat sich gegen konkrete politische Situationen gewendet, er ist in seinem Lebensraum mit Politik umgegangen. Genauso muss sich die Kirche heute verhalten. Sich zurückzuziehen und zu sagen: Die Welt interessiert uns nicht, wir konzentrieren uns allein auf die Bibel und darauf, was Gott uns persönlich sagt – das wäre eine falsche Privatisierung von Religion, die Jesus uns nicht vorgelebt hat.

Gibt es senderinterne Richtlinien dafür, was in einem Wort zum Sonntag gesagt werden darf und was nicht?

Die inhaltliche Verantwortung liegt allein bei den Kirchen. Die Sender gucken noch einmal drüber, schauen aber nur, ob es verfassungskonform ist. Grundsätzlich achten Redakteure und Kirchen aber gemeinsam darauf, ob das Wort möglichst viele Menschen erreicht.

Dürfte jemand wie Olaf Latzel – jener Pastor, der jüngst wegen einer Predigt kritisiert wurde, in der er Katholiken und Andersgläubige angriff – denn ein Wort zum Sonntag sprechen?

Diejenigen, die das Wort zum Sonntag sprechen, wurden für dieses Amt gewählt. Unsere Aufgabe ist es dialogfähig zu sein, die Zuschauer mit einzubeziehen und nicht missverständlich zu polarisieren.

Gibt es etwas, was Sie gerne einmal im Wort zum Sonntag sagen würden, aber nicht können?

Ich würde gerne mal testen, wie es ankommt, wenn ich mit meinen Themen mehr in die Tiefe gehen könnte. Was passiert zum Beispiel, wenn ich ein Wort zum Sonntag so vorbereite wie eine Predigt, also „kirchlicher“ spreche? Das geht in diesem kurzen Format leider nicht. Weil es eben an Kirchenferne gerichtet ist, die am Samstagabend an anderen Dingen interessiert sind. Was ich im Gottesdienst predige, und was ich im Wort zum Sonntag sage, unterscheidet sich oft sehr stark.

Einen wahren Shitstorm hat ein Wort zum Sonntag von Maria Kitz ausgelöst. Während der Fußball-WM sprach sie in der Halbzeitpause davon, dass sie der Seitenwechsel beim Spiel irritiere und forderte die Zuschauer auf, heute einmal jemand anderen Bier holen zu schicken. In den Sozialen Medien wurden ihr Anbiederung und Selbstironie vorgeworfen. Warum ist die Kirche so selten massentauglich?

Aus eigener Erfahrung weiß ich auch, wie schwer es ist, den Glauben einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Ich muss da selbst noch viel lernen. Wir müssen stark an unserer Sprache arbeiten, zugleich aber das Evangelium nicht verwässern, sodass der Kern erkennbar bleibt. Im Mittelpunkt muss stehen, was Jesus uns verkündigt hat. Er selbst hat seine Botschaft nicht in einer veralteten Sprache vermittelt. Martin Luther ebenfalls nicht. Auch heute müssen wir die Inhalte der Bibel verstärkt in Worte kleiden, die verständlich sind. Das ist mit die größte Aufgabe, die die Kirche hat.

Der Moderator Jörg Thadeusz hat das Wort zum Sonntag einmal als vierminütigen religiösen Frontalunterricht bezeichnet. Was gehört Ihrer Meinung nach unbedingt in diesen Frontalunterricht hinein?

Es kommt nicht ohne die klare Botschaft aus, dass jeder Mensch ohne Ansicht seiner Taten unendlich von Gott geliebt ist.

Frau Steen, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen/detailansicht/aktuell/wurst-zum-sonntag-88125/
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