„Da dreht sich einem Theologen der Magen um“

Ist die „Orientierungshilfe“ der Evangelischen Kirche in Deutschland die richtige Reaktion auf den Wandel, den der Begriff „Familie“ in den vergangenen Jahren erfahren hat? Darüber hat eine der Verfasserinnen des Familienpapiers mit einem entschiedenen Kritiker am Dienstagabend in Nürnberg diskutiert. Zur Debatte stand nicht weniger als die Autorität der Bibel für die Gläubigen heute.
Von PRO
Ulrich Eibach und Cornelia Coenen-Marx sind geteilter Meinung, was die EKD-Familienschrift angeht

Bei der Podiumsdiskussion des Arbeitskreises bekennender Christen in Bayern (ABC) traf Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx, Geschäftsführerin der EKD-Kommission, die das Familienpapier erarbeitet hatte, auf den Theologen Ulrich Eibach von der Universität Bonn. Der Professor für Systematische Theologie und Ethik kritisierte besonders den Stellenwert der Theologie in der „Orientierungshilfe“, die selbst von Seiten liberaler Theologen Kritik erfahren hätte. In der Kommission, welche die Orientierungshilfe erarbeitet hat, hätten zahlreiche Frauen gesessen, die sich in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern mit Gender-Theorien als Schwerpunkt befassen. Die Heilige Schrift würde im Familienpapier nur herangezogen, um diese Theorien als biblisch legitimiert darzustellen. „Dieser Gebrauch der heiligen Schrift ist peinlich“, sagte Eibach. „Man muss sich nicht nur gegen konservative, sondern auch gegen liberale Verdrehungen der Schrift wehren. Wenn beispielsweise angedeutet wird, David sei bisexuell gewesen, dann ist das einfach peinlich und Theologen unwürdig.“ Auch deswegen, weil kein Universitätstheologe in der Kommission vertreten gewesen sei, enthalte die Familienschrift „ganz schreckliche“ Aussagen, die „jedem Theologen den Magen umdrehen“.
Coenen-Marx hielt dagegen, bei der Entwicklung der Orientierungshilfe sei es ein Ziel gewesen, inzwischen häufige neue Formen der Familie mit in die Kirche einzuschließen. „Wir wollten sagen: ‚Schaut doch mal hin‘“, erklärte sie. „In Ostdeutschland leben 60 Prozent der Familien nicht mehr in einer Ehe. Es gibt 100.000 Kinder in Deutschland, die durch Samenspenden gezeugt wurden. Viele Eltern haben Adoptiv- oder Pflegekinder, mit denen sie nicht biologisch verwandt sind.“ Es sei die Absicht der Kirche, diese Familien anzuerkennen und darauf aufmerksam zu machen, dass dort die Werte gelebt werden, die auch für klassische Ehen und Familien zentral seien.

„Papier klingt nach Wahlempfehlung für Linkspartei, SPD und Grüne“

Moderator der Podiumsdiskussion war der Chefredakteur des Evangelischen Sonntagsblatts, Helmut Frank. Er zitierte bei seinen Fragen immer wieder aus der Orientierungshilfe, etwa zum Thema Krippen. „Mit der Aussage, mehr Krippenplätze seien für ein Gelingen der Familie unverzichtbar, liest sich das Papier wie eine Wahlempfehlung für Linkspartei, SPD und Grüne“, befand er. Coenen-Marx räumte ein, dass der Veröffentlichungszeitpunkt kurz vor der Bundestagswahl nicht klug gewesen sei – „allerdings war er auch keine Absicht“. Bei Kinderkrippen müsse nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der zur Verfügung stehenden Plätze stimmen. Zwar gebe es Familien, die ohne Krippen und Ganztagsschulen gut zurecht kämen, für viele sei aber die Kinderbetreuung eine wichtige Unterstützung.
Eibach erklärte, dass in der Debatte um die EKD-Familienschrift schlicht die Autorität der Bibel zur Debatte stünde. „Ist die Ehe, wie sie die Bibel sieht, noch als Leitbild gültig? Diese Frage ist entscheidend“, sagte er. In einer zunehmend säkularisierten Welt müsse sich die Kirche entscheiden, ob sie die lebensdienlichen Inhalte des Christentums in die Gesellschaft hineintragen und somit pädagogisch handeln wolle, oder nicht. Der Unmut über die Orientierungshilfe zeige, in welche Richtung das Kirchenvolk tendiere. Coenen-Marx lässt sich von der breiten Kritik am Familienpapier nicht aus der Ruhe bringen: „Wir haben auch schon bei anderen Papieren Proteste und Unterschriftenlisten erlebt“, sagte sie. „Im Übrigen: Während 60 Prozent aller Briefe, die wir erhalten, negativ sind, sind 60 Prozent aller E-Mails positiv.“
Veranstalter der Podiumsdiskussion mit anschließender Fragerunde war der Arbeitskreis bekennender Christen in Bayern (ABC). Der ABC ist ein eingetragener Verein, in dem sich Verantwortliche aus rund 20 kirchlichen Gemeinschaften, Verbänden und Werken zusammengeschlossen haben, etwa aus den landeskirchlichen Gemeinschaftsverbänden und dem CVJM. Vorsitzender ist der Gemeindepfarrer Till Roth aus Redwitz an der Rodach. (pro)

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