Zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl

Eher leistungsorientierte Menschen besinnen sich durch die Corona-Krise stärker auf sich selbst und ihre eigenen Aktivitäten als Menschen, die eher sicherheitsorientiert sind. Außerdem sind für Humanisten bei der Beurteilung von Corona-Maßnahmen weniger wirtschaftliche Aspekte, sondern eher der Schutz des Lebens vorrangig. Das geht aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung hervor.
Von Jörn Schumacher
In sieben Milieus haben die Autoren der Bertelsmann-Stiftung die Bevölkerung für ihre Studie zur Einstellung zu den Corona-Maßnahmen unterteilt

Die Bertelsmann-Stiftung hat im November 2020 per Online-Befragung 1.012 Personen in Deutschland zu ihrer Einstellung zu den Corona-Maßnahmen befragt. Dabei spielten unter anderem die Abwägung zwischen Gemeinwohl und individueller Freiheit eine Rolle. Die Autoren gliederten die Bevölkerung dabei in sieben Gruppen ein, die sie „Wertemilieus“ nennen. Diese sind:

  • die kreativen Idealisten

  • die bescheidenen Humanisten

  • die individualistischen Materialisten

  • die unbeschwerten Beziehungsmenschen

  • die unbeschwerten Beziehungsmenschen

  • die sicherheitsorientierten Konservativen

  • die leistungsorientierten Macher

  • die unkonventionellen Selbstverwirklicher

„Sie sind in Deutschland etwa gleich stark und quer durch die Gesellschaft in allen Alters-, Bildungs- und Einkommensschichten vertreten“, erklären die Autoren diese Methode.

Die „bescheidene Humanist:innen“ ist demzufolge zum Beispiel „evangelisch, engagiert sich auch in der heimischen Kirchengemeinde“. Das einzige der sieben Milieus, dem die Autoren das Adjektiv „religiös“ zuschreiben, ist das Milieu der „leistungsorientierten Macher:innen“. Dieser Gruppe seien die Werte „Leistung, Einfluss und Anerkennung“ wichtig. Die Personen dieser Gruppe seien „konservativ, traditionell und optimistisch“, unter 40 Jahre alt, haben ein „hohes Einkommen“ und wählen typischerweise CDU. Einen typischen Vertreter dieser Gruppe stufen die Autoren so ein: „Männlich, 34 Jahre alt, katholisch sozialisiert“. Einen Zusammenhang von religiösen Menschen mit der CDU sehen die Autoren zudem bei den „unbeschwerten Beziehungsmenschen“, diese typischen Vertreter seien „männlich, Mitte 20, früh verheiratet. Einfacher Angestellter mit Mittlerer Reife, unterdurchschnittliches Einkommen.“ Das typische Mitglied dieses Milieus „versteht sich als religiös, wählt CDU“.

Schutz von Leben untergeordnet

Der Aussage „Dem Schutz des Lebens sollte in Zeiten der Pandemie alles andere untergeordnet werden“ stimmt das Milieu der „Leistungsorientierten“ zu 51 Prozent „eher“ und zu 31 Prozent „voll und ganz“ zu. Die größte Abweichung von dieser Haltung findet sich bei den „Materialist:innen“: dieser stimmen der Aussage aber immerhin zu 43 Prozent „eher“ und zu 24 Prozent „voll und ganz“ zu. Im Gesamten liegt dieser Wert bei 50 („stimme eher zu“) beziehungsweise 29 Prozent („stimme voll und ganz zu“).

Die Autoren erinnern, dass insbesondere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zunächst im April 2020 und dann im Januar 2021 meinte, auch der Schutz von Leben müsse sorgfältig gegen andere Werte und Güter abgewogen werden; „nicht um jeden Preis“ könne jedes Leben geschützt werden, so Schäuble.

Die Autoren stellen fest: „Am deutlichsten zeigt sich die unterschiedliche Einschätzung im Wertemilieu der Humanisten. Hier sind nur für 58 Prozent wirtschaftliche Aspekte relevant; der Schutz des Lebens hat dort für 83 Prozent Vorrang.“

Leistungsorientierte besinnen sich durch die Corona-Krise stärker auf sich selbst

Der Aussage „Jede Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie, die in Freiheitsrechte eingreift, ist grundsätzlich abzulehnen“ stimmten aus der Gruppe der „Leistungsorientierten“ 26 Prozent eher und zu 19 Prozent „voll und ganz“ zu. „Jeder Mensch solle selbst für sich entscheiden, wie er oder sie mit der Corona-Pandemie umgeht“ – dieser Aussage stimmten 20 Prozent der Materialisten „voll und ganz“ zu, doppelt so viele wie in der Gesamtstichprobe. Insgesamt findet diese Aussage aber wiederum unter den Leistungsorientierten die meiste Zustimmung (39 Prozent versus 36 Prozent unter den Materialisten).

Es stimmten 34 Prozent der Befragten der Aussage zu, sich „auf keinen Fall“ gegen Corona impfen zu lassen. Überdurchschnittlich deutlich ist die Ablehnung einer Impfung gegen das Coronavirus in der Gruppe der Materalisten: „Jede:r vierte Materialist:in lehnt eine Impfung ‚voll und ganz‘ ab“. Insgesamt waren es 40 Prozent der Befragten aus diesem Milieu, die eine Impfung ablehnen. Leistungsorientierte lehnen eine Impfung mit einem Anteil von 44 Prozent aber noch deutlicher ab. 54 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Gesellschaft zur „alten Normalität“ zurückfinden wird. Am stärksten ist die Zustimmung im Wertemilieu der Leistungsorientierten. Hier sind 65 Prozent dieser Meinung.

Die Autoren schlussfolgern aus der Studie: „Die von uns gewählte Analyseperspektive legt nahe, die unterschiedlichen Werthaltungen, zwischen denen es Schnittmengen gibt und die sich je nach Fragestellung neu (wenn auch mit bestimmten Grundtendenzen) sortieren, zunächst als ethische oder politische Kompassnadeln ernst zu nehmen.“ Menschen, die sich durch eine hohe Leistungsorientierung auszeichnen und womöglich auch eine höhere Risikobereitschaft und unternehmerische Einstellung mitbringen, besinnen sich demnach durch die Corona-Krise stärker auf sich selbst und ihre eigenen Aktivitäten als Menschen, die eher anpassungsbereit und sicherheitsorientiert sind.

Von: Jörn Schumacher

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