Open Doors: „Erdoğan verdrängt das christliche Erbe der Türkei“

Der Plan der türkischen Regierung, die Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee zu machen, trägt nach Einschätzung des christlichen Hilfswerkes Open Doors Züge einer Kampagne. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wolle das christliche Erbe aus dem Land drängen. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker kritisierte das Vorhaben und rief Muslime zu einer Solidaritätsaktion auf.
Von Norbert Schäfer
Die Hagia Sophia in Istanbul war für fast tausend Jahre eine Kirche, dann eine Moschee. Heute ist das Gebäude ein Museum, soll nun nach dem Wunsch einiger Türken wieder Moschee werden.

Die christliche Hilfsorganisation „Open Doors“ sieht in dem Plan der türkischen islamisch-konservativen Regierung von Recep Tayyip Erdoğan, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln, eine Kampagne. Zu dem Vorhaben Erdoğans hat das oberste Verwaltungsgericht der Türkei bis zum 16. Juli ein Urteil angekündigt. Die einstige Sophienkirche – heute Hagia Sophia genannt – wurde im 6. Jahrhundert im Byzantinischen Reich erbaut. Nach der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanischen Reich wurde das Gebäude 1453 in eine Moschee umgewidmet. Seit 1935 dient das Gebäude als Museum. Seitdem wird immer wieder die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee zur Diskussion gestellt.

Nach Angaben von Open Doors hat die türkische Regierung in vergangenen 18 Monaten mehr als 50 ausländischen Christen die Aufenthaltsvisa oder Wiedereinreisegenehmigungen verweigert. „Viele der Christen bekleideten in ihren Gemeinden leitende Positionen. Das Vorgehen der Regierung trägt Züge einer Kampagne, die auf eine systematische Schwächung der christlichen Gemeinschaft im Land abzielt“, erklärte der Pressesprecher der christlichen Menschenrechtsorganisation, Ado Greve, am Donnerstag auf Anfrage von pro. Dazu passe das Vorhaben, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwidmen und „dadurch das christliche Erbe der Türkei weiter zu verdrängen“.

Greve hält es für angezeigt, dass Christen in Deutschland jetzt für ihre Brüder und Schwestern in der Türkei beten, damit die die „Feindseligkeit mit Liebe überwinden und am Evangelium des Friedens festhalten“. Nach Einschätzung von Open Doors setzt Präsident Erdoğan mit seiner Aktion auf die Spaltung der Gesellschaft. Erdoğans Aktion richte sich „gegen die Christen und gegen all jene Menschen im Land, die eine freiheitliche Gesellschaft und die Einhaltung der Menschenrechte“ wollten.

Gebäude hat „hohe Strahlkraft“ für Christen in der Türkei

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit Sitz in Göttingen betonte, die Hagia Sophia habe 567 Jahre nach der Eroberung Konstantinopels für die heute bedrängten christlichen Gemeinden im Nahen Osten eine hohe Strahlkraft. Für die Christen sei das Gebäude ein Symbol ihrer langen Geschichte in der Region und daher wichtig für ihre Identität. „Die Hagia Sophia als Museum und als ein Wahrzeichen Istanbuls zu belassen, wäre ein Signal des türkischen Staates an alle Christen im Nahen Osten und weltweit“, sagte Sido. Das Land könne auf diese Weise zeigen, dass es das Erbe der Völker, die einst auf seinem Gebiet lebten, respektiere.

Der Verzicht auf die Umwidmung könne „zur Versöhnung mit den Nachfahren der Opfer von Verfolgungen und Genoziden im Osmanischen Reich und in der heutigen Republik Türkei beitragen – oder eben das Gegenteil bewirken“. Zuletzt hätten nach GfbV-Angaben von der Türkei „geduldete oder unterstützte Radikalislamisten“ im Irak, in Syrien und anderen Ländern christliche Kirchen zerstört. Auch jesidische Gotteshäuser, Denkmäler, Friedhöfe und andere Heiligtümer sind demnach zerstört worden.

Moscheen sollen Solidarität mit Christen bekunden

Angesichts des Vorhabens der türkischen Regierung forderte die GfbV in einem Appell an die Moscheegemeinden in Deutschland, ihre Solidariät mit christlichen Gläubigen in der Türkei zu bekunden und für 482 Stunden Kreuze aufhängen. „Die 482 Stunden sollen die 482 Jahre symbolisieren, in denen die Sophienkirche im ehemaligen Konstantinopel als Moschee genutzt wurde“, erklärte Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV, am Donnerstag in einer Pressemitteilung. Solidarität ist nach Ansicht der GfbV „dringend notwendig, um den gegenseitigen Respekt, Toleranz und ein friedliches Miteinander in der Türkei, in Deutschland und in der ganzen Welt zu fördern und zu stärken“.

Mit der Aktion könnten muslimische Verbände gegen die mögliche Umwandlung des Hagia-Sophia-Museums in eine Moschee protestieren. Nach Ansicht der GfbV könnten die deutsch-muslimischen Verbände so die bedrängten und verfolgten Christen und anderen religiösen Gemeinschaften in der „Islamischen Welt“ unterstützen. Auf Anfrage von pro teilte Sido mit, dass unter anderem Seyran Ateş von der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in einem Telefonat ihre Unterstützung erklärt habe.

Von: Norbert Schäfer

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