„Das Kopftuch verhindert die Integration unserer muslimischen Kinder“

Mit dem Weltkopftuchtag wollen Musliminnen ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen. Der Freiburger islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi sieht den Hijab kritisch. Meist werde er aus Zwang getragen. Die Fragen stellte Nicolai Franz
Von PRO
Abdel-Hakim Ourghi sieht den Hijab kritisch

pro: Herr Ourghi, heute ist Weltkopftuchtag. Gemeint ist der Hijab. Freuen Sie sich als Muslim darüber?

Abdel-Hakim Ourghi: Die Frage ist, wozu ein solcher Tag dient. Wenn Musliminnen aus freier Entscheidung oder aus Gründen des Feminismus Kopftuch tragen, ist das in Ordnung. Ich habe auch Studentinnen, die Kopftuch tragen, die respektiere ich und wir haben einen guten Umgang miteinander. Das Kopftuch ist aber überwiegend kein Zeichen für Feminismus, sondern ein historisches Produkt der männlichen Herrschaft, um Körper und Geist der Frauen zu kontrollieren.

Die Initiatoren des Weltkopftuchtags sagen: „Unser Ziel ist, durch Aufklärung und Bildung die Diskriminierung von muslimischen Frauen zu bekämpfen.“

Es ist richtig, dass wir mit anderen Kulturen respektvoll umgehen sollten. Wir brauchen trotzdem Aufklärung – schon im Kindergarten – darüber, dass das Kopftuch kein religiöses Zeichen ist, sondern ein Symbol der Unterwerfung der Frau, der ständigen Kontrolle ihres Körpers und Geistes.

Was meinen Sie damit?

Ich nenne es verbale emotionale Erpressung. Die Familie und die Gemeinde, darunter gerade die bereits unterdrückten Frauen, vermitteln Mädchen noch vor der Pubertät: Wenn du kein Kopftuch trägst, kommst du in die Hölle. Der Körper von Mädchen wird sexualisiert, sie sollen keinen Zugang zum eigenen Körper haben, während der Mann als Tier dargestellt wird, vor dem das arme Mädchen beschützt werden muss. Das ist verbale Erpressung, das sind Disziplinarmaßnahmen, die die männliche Herrschaft vor allem im Westen entwickelt hat. Manche Mädchen werden ständig überwacht, etwa von ihren Brüdern, egal wo sie hin gehen. Wenn sie sich dem Kopftuch verweigern, werden sie isoliert. Man schließt sie aus, kommuniziert nicht mehr mit ihnen, sogar zuhause. Sie sagen: Entweder gehörst du zu uns oder nicht. Manche werden sogar öffentlich denunziert: Du bist keine Muslimin. Sie werden zum Kopftuch gezwungen.

Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2006 halten es 97 Prozent der Kopftuchträgerinnen für eine religiöse Pflicht, dass Musliminnen ein Kopftuch tragen.

Es ist aber keine. Das Wort „Hijab“ gibt es im Koran nicht einmal. Es gibt darin auch keine religiöse Vorschrift, Kopftuch zu tragen. Das Kopftuch ist ein Produkt männlicher Herrschaft im Namen des Islam, dazu gehören etwa die sogenannten konservativen Gelehrten im Lauf der Jahrhunderte. In manchen Ländern hat man das Kopftuch wegen der Hitze getragen. Religiöse Vorschriften gab es aber nicht. In Deutschland folgt daraus ein ganz praktisches Problem: Hier scheint die Sonne kürzer, wodurch es zu einem Vitamin-D-Mangel kommen kann.

Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie der Islamkonferenz sagt über kopftuchtragende Musliminnen, dass Zwang oder Erwartungen nur eine geringe Rolle spiele. Nur sechs bis sieben Prozent berichteten von Erwartungen oder Forderungen ihres Umfeldes in Bezug auf das Kopftuch. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein. Die Realität ist total anders. Ein Beispiel: Die sogenannten Neo-Muslimminen, also die Konvertiten, entscheiden sich in der Regel für das Kopftuch, nennen aber selten den Grund dafür: In der Gemeinde würden sie nicht ernst genommen und akzeptiert, deswegen sind sie gezwungen, es zu tragen. Kein Mädchen in der Grundschule trägt freiwillig Kopftuch. Es wird von der Gemeinde und den Eltern vorgeschrieben. Warum wohl gehen Frauen in muslimischen Ländern wie dem Iran auf die Straßen und demonstrieren gegen das Kopftuch?

Mittlerweile gibt es Kopftuch-Barbies und Kopftuch-Emojis auf dem Smartphone. Ist es nicht ein Gebot der Toleranz, das Kopftuch zu integrieren?

Wir sollten nicht für Toleranz werben gegenüber politischen Symbolen, mit denen Frauen im Namen der männlichen Herrschaft unterdrückt werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht für ein Kopftuchverbot. Ich respektiere es, wenn Frauen freiwillig Kopftuch tragen. Jedoch sieht die Realität anders aus. Gleichzeitig will ich Aufklärung leisten, dass Frauen damit unterdrückt werden. Das Kopftuch verhindert die Integration unserer muslimischen Kinder.

Ihr aktuelles Buch heißt: „Ihr müsst kein Kopftuch tragen! – Aufklären statt verschleiern.“ Welche Reaktionen haben Sie erhalten?

Ich habe einige Mails erhalten, von Muslimen und Nichtmuslimen, die dankbar für die Aufklärungsarbeit sind. Natürlich gibt es auch unzufriedene. Mir geht es aber nicht darum, jemanden zu kränken oder in seiner Ehre zu verletzen. Ich will Aufklärung. Mir geht es darum, einander zuzuhören und gemeinsam friedliche Lösungen zu finden. Das ist die sogenannte Meinungsfreiheit und Meinungsverschiedenheit. Wir Muslime im Westen sind noch weit davon entfernt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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