Militantes Christentum vs. barmherziges Christentum

Ein „hartherziges Christentum“, das Bedürftige ausschließe, anstatt ihnen in Nächstenliebe zu helfen, erwachse derzeit in den Kirchen mancher europäischer Staaten. Diese Meinung vertritt der Journalist Thomas Schmid in einem Kommentar in der Tageszeitung Die Welt.
Von Jörn Schumacher
Das Kreuz eines sich abgrenzenden Christentums wie beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wirke „leicht aggressiv“, findet der Journalist Thomas Schmid

Am 1. Juni tritt der Paragraf 28 der bayerischen Verfassung in Kraft, nach der in Dienstgebäuden ein Kreuz hängen muss. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte dieses Gesetz vorangetrieben. Als er bei seiner Kreuz-Kampagne ein Kreuz hochhielt, habe das „nicht sehr christlich“ ausgesehen, „sondern etwas raubeinig und leicht aggressiv“, schreibt Thomas Schmid in seinem Kommentar „Das hässliche Christentum“ vom Freitag.

Der bayerische Ministerpräsident stehe mit dieser „Indienstnahme des Christentums“ für politische und staatliche Zwecke nicht allein. Da wachse ein Christentum heran, „das sich vormodern in Abgrenzung von anderen Denominationen begreift und von Nächstenliebe wenig hält“. Auch an anderen Orten zeichne sich ein „militantes“ Christentum ab, das sich hart gegenüber anderen Religionen, Kulturen und Wertvorstellungen abgrenzen wolle. „Die Botschaft der Liebe ist nicht mehr unumstritten“, konstatiert Schmidt.

In Polen wolle die konservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) „um der Bewahrung des christlich-katholischen Reinheitsgebots willen“ den christlichen Glauben seiner zentralen Botschaft der Liebe berauben. Im katholischen Italien habe es Lega-Chef Matteo Salvini zu großer Prominenz und wachsender Zustimmung gebracht – „und es hat ihm dabei keineswegs geschadet, dass er Flüchtlingsappelle des Papstes in ordinärer Diktion zurückwies.“ In den Balkanstaaten mit meist orthodox-christlicher Bevölkerungsmehrheit falle die Kirche auch nicht eben durch interethnische Friedensbotschaften auf.

Und auch in Russland zeige sich beim anhaltenden Tête-à-Tête der orthodoxen Kirche mit Wladimir Putin klar eine „Indienstnahme“ einer vorgeblich christlichen Tradition für Staatszwecke. In Russland werde die Kirche zur Staatsdienerin. „Sie wird Staatsreligion eines Staates, dessen Herrscher die Demokratie faktisch abgeschafft hat.“ Alle diese „neo-autoritären“ Advokaten eines Christentums ohne Barmherzigkeit wollten im Grunde zurück in die Staaten- und Glaubenswelt des 19. Jahrhunderts, in der der Krieg zwischen Staaten der Normalfall war, ist der Journalist überzeugt.

„Drohbotschaft statt Frohbotschaft“

Auch in Deutschland sei diese hartherzige Form des Christentums nicht neu: „In Deutschland und anderen Staaten Europas ist es noch gar nicht so lange her, dass das Christentum vornehmlich eine Sache der Kanzeln und der Obrigkeit gewesen war.“ Damals seien die christlichen Kirchen in hohem Maße staatsnah und obrigkeitsfromm gewesen. „Kanonen wurden gesegnet, Pfarrer und Priester ermahnten den Untertan zu Schicksalsergebenheit und Gehorsam.“ Noch zur Adenauerzeit seien die Kirchen staatsnah gewesen. „Sie verbreiteten eher eine Droh- als eine Frohbotschaft.“

In einer ganz anderen Form des Christentums stehe aber die Haltung des barmherzigen Samariters im Vordergrund, der sich um einen verletzten Mann am Straßenrand kümmerte, unabhängig von dessen Herkunft. Für Christen, die so handeln, zähle offenbar das Menschsein mehr als das Anderssein.

Der andere Strang christlicher Tradition hingegen greife verbal wieder zum Schwert, schreibt Schmid. Sie halte von Toleranz gegenüber anderen Religionen „fast gar nichts“, aber auch nichts von Barmherzigkeit. Dieses Christentum würde Europa gerne „zu einer gut bewehrten Christenfestung machen“ und ohne schlechtes Gewissens jedem Fremden und Flüchtling die Tür weisen. Schmid weiter: „Diejenigen, die vorgeben, Gutes tun zu wollen, richten nur Schaden an. Sie helfen der Welt nicht, sondern baden selbstgefällig in ihrer vorgeblichen Güte.“

Von: Jörn Schumacher

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