„Nächstenliebe steht nicht über dem Recht“

Auch Christen sollen die Nächstenliebe nicht gegen das Recht durchsetzen. Das hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, vor Christen in Berlin erklärt. Als Beispiel nannte er den Umgang mit Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen.
Von Anna Lutz
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sprach bei der Jahrestagung von „Christ und Jurist"

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, fand bei der Jahrestagung des Netzwerks „Christ und Jurist“ am Samstag in Berlin kritische Worte zur Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland. Humanität und Barmherzigkeit dürften nicht gegen das Recht durchgesetzt werden. Nur eine rechtlich gesteuerte Humanität könne helfen. „Juristen sollten sich stets für die Herrschaft des Rechts und für die Geltung der Freiheit einsetzen“, riet er seinem christlichen Publikum. Auch die Nächstenliebe stehe nicht über dem Recht.

In der Bundesrepublik lebten derzeit zahlreiche Einwanderer, die nicht anerkannt seien noch Aussicht darauf hätten, es jemals zu werden. „Es muss sichergestellt sein, dass das Asylrecht nicht länger zweckentfremdet werden kann als Türöffner illegaler Einwanderung“, sagte Papier.

Flüchtlinge an der Grenze abweisen

Der Rechtsstaat dürfe Menschen, die kein Recht zur Einreise hätten, an der Grenze abweisen. „Davon wird ersichtlicherweise kein Gebrauch gemacht“, stellte Papier fest. Seien Ausländer aber einmal im Land, könnten sie nicht ohne weiteres ausgewiesen werden. 80 Prozent der Verfahren vor Verwaltungsgerichten in Deutschland beträfen heute Asylverfahren. Dieses Arbeitsaufkommen sorge dafür, dass andere Belange nicht ausreichend bearbeitet würden. Aus solcherlei Problemen speise sich ein Verlust des Vertrauens der Bürger in den Rechtsstaat.

„In Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung wird der Schutz der Grundrechte immer wichtiger“, sagte Papier. Die stärkste Bedrohung der Freiheitsrechte gehe heute vor allem von international agierenden privaten Großkonzernen aus oder von Nachrichtendiensten. So sei darüber nachzudenken, ob das Geschäftsmodell von Facebook, das von Millionen von Daten seiner Nutzer lebe, überhaupt tragbar sei. Der Schutz der Bürger sei dort nicht hinreichend gewährleistet.

Papier betonte auch, dass Freiheit und Sicherheit in einem Rechtsstaat in Balance bleiben müssten. Wenn seit dem 11. September 2001 die Furcht vor terroristischen Anschlägen umgehe, „so dürfen doch keinesfalls verfassungsrechtliche Entwicklungen in die Vergangenheit zurückgedreht werden“. Der Staat müsse Terrorismus entgegenstehen, sei aber zugleich verpflichtet, sich dabei auf die rechtsstaatlich gewährten Mittel zu beschränken. Absolute Sicherheit gebe es nicht.

„Ehe für Alle“ nicht rechtmäßig

In der Einführung der sogenannten Ehe für Alle sieht Papier eine unrechtmäßige Änderung der grundgesetzlich vorgegebenen Normen. Eine Verschiedengeschlechtlichkeit der Lebenspartner sei im Sinne der Verfassung immer als Voraussetzung für die Ehe betrachtet worden. Das schlicht unter Verweis auf eine Änderung der Werte der Gesellschaft zu ändern, sei nicht rechtmäßig.

Hans-Joachim Eckstein erklärte: Christen sollen zuerst Gott folgen – aber eben auch der staatlichen Ordnung. Foto: pro/Anna Lutz
Hans-Joachim Eckstein erklärte: Christen sollen zuerst Gott folgen – aber eben auch der staatlichen Ordnung.

Der evangelische Theologe Hans-Joachim Eckstein sagte, dass sich das Neue Testament eindeutig gegen eine Theokratie ausspreche. Jesus komme nicht in die Welt, um sich mit Recht und Gewalt durchzusetzen, sondern, um sich hinzugeben. Dennoch gebe es für Christen auch keine „unbedingte Untertanenpflicht“ im Staat. Tatsächlich beschreibe die Bibel eine Unterordnung des Staates unter die Gottesherrschaft und eine Unterordnung der Jünger unter den Staat.

„Der Gehorsam gegenüber Gott ist allem und jedem übergeordnet“, sagte Eckstein. Wenn sich Gottes Gebote und das Handeln des Staates widersprächen, gelte: „Der Christ darf gegenüber dem Staat nie zum Täter werden.“ Er dürfe und müsse ihm widersprechen – aber immer im Rahmen der Staatsordnung. Terrorismus oder anderweitiger bewaffneter Widerstand sei nicht von Gott gewollt. „Die Botschaft ist: Seid getrost, denn der, der kommen wird, um Gottes Gericht durchzusetzen, der kommt gewiss.“ Eckstein fasste zusammen: „Um der Herrschaft Gottes willen, bringen wir uns in diesen Staat ein.“ Das schließe auch ein, Widerspruch zu äußern.

Von: Anna Lutz

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