Radikalisierung hat mit dem Islam zu tun

Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis: Radikale Muslime kennen ihre Religion gut, finden vor allem im Salafismus ein ganzheitliches Glaubens- und Politikkonzept und stammen mehrheitlich aus religiösen Elternhäusern. Basis für ihren Glauben sind auch klassische islamische Inhalte.
Von Anna Lutz
Mekka ist das spirituelle Zentrum des Islam. Einer neuen Studie zufolge spielen bei der Radikalisierung auch klassische islamische Inhalte eine Rolle.

Warum werden Menschen zu radikalen Muslimen und welche Rolle spielt die Religion dabei? Diese Frage hat der Islamwissenschaftler Ednan Aslan von der Universität Wien untersucht. Seine Ergebnisse räumen mit Klischees über die Gründe für die Radikalisierung junger Menschen auf. Denn seine Studie zeigt: Radikalisierung hat durchaus mit dem Islam zu tun, auch wenn muslimische Verbände und Institutionen dies immer wieder verneinen. Religion ist seiner Meinung nach sogar einer der wichtigsten Faktoren im Radikalisierungsprozess.

Klassische islamische Lehre als Basis

So fand Aslan etwa heraus, dass sich junge Radikale aktiv mit Normen und Wertvorstellungen der islamischen Lehre auseinandersetzen. Durch das Studium theologischer Inhalte erleben sie nach eigenen Angaben einen positiven Wendepunkt in ihrem Leben. Der Großteil der Befragten stammt aus einem gläubigen Elternhaus und kannte die Grundlagen des Islam bereits vor der Radikalisierung. Im Salafismus entdecken die jungen Menschen ein Konzept, das in der Folge ihr ganzes Leben bestimmt und das sie auch als politisches Konstrukt für die Gesellschaft verstehen. Wichtig ist Aslan auch, dass diesen Ansichten „allgemein anerkannte klassische Werke der islamischen Lehre“ zugrunde liegen.

Aslan hat für seine Untersuchung im Frühjahr 2016 insgesamt 29 Interviews mit straffälligen und überwiegend jungen Muslimen in Gefängnissen und Jugendeinrichtungen geführt. 15 von ihnen waren zum Zeitpunkt der Befragung wegen terroristischer Straftaten inhaftiert. Er fand heraus, dass sich die Islamisten für gewöhnlich nicht isoliert radikalisieren, sondern in einem sozialen Umfeld wie in bestimmten Moscheen und durch religiöse Autoritäten. Direkte Beziehungen spielten eine wichtige Rolle, das Internet eher eine untergeordnete, schreibt Aslan. Teil der Lehre solcher radikalen Gruppen sei die Ablehnung der Demokratie und der Wunsch nach der Einführung der Scharia als Gesellschaftsgrundlage. Identitätsstiftend ist vor allem die Abgrenzung zum Rest der Gesellschaft und anderen Muslimen. Diskriminierungserfahrungen aufgrund des eigenen Glaubens verstärkten die islamistische Identität noch. Fehlende Perspektive und die Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft machten die meist sozial schwachen jungen Menschen zugänglich für radikale Inhalte.

Abwehrhaltung von Muslimen verhindert Prävention

Aslan kritisiert bei der Auseinandersetzung mit dem Islamismus eine Abwehrhaltung auf muslimischer Seite. Wer dem Terror vorbeugen wolle, müsse sich offen mit den Gründen für Radikalisierung auseinandersetzen, anstatt alles kategorisch zu verneinen, was die eigene Religion kritisiere. Denn auch islamistische Gruppen beanspruchten das islamisch-theologische Erbe für sich. Ein fruchtbarer Diskurs über die Inhalte des Islam sei nur in Offenheit möglich. „Die alleinige Aussage ,All das hat mit dem Islam nichts zu tun‘ verhindert leider in der islamischen Community die dringend notwendige Auseinandersetzung mit einer radikalisierenden Theologie und verleiht den radikalisierten Gruppen nicht nur Legitimation, sondern stärkt sogar deren theologische Positionen“, schreibt Aslan in seinem Fazit.

Von: al

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