Scheiden tut weh

Ehekrise, Trennung und Scheidung sind Themen, die nicht nur Betroffene belasten, sondern auch Menschen, die ihnen nahe stehen. Offen darüber zu sprechen, ist oft schwer. Doch gerade Kirchen und Gemeinden sollten darüber reden und sich fragen: Wie können wir Menschen helfen, deren Beziehung zerbrochen ist?
Von PRO
Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden – die meisten nach sechs Jahren. Seit 2012 sinken die Scheidungszahlen jedoch leicht.

„Ist eine gescheiterte Ehe Sünde?“ „Natürlich!“, antwortet Reiner Knieling, als er bei einer Lesung seines Buchs „Mit dem Scheitern leben lernen“ aus dem Publikum dazu gefragt wird. „Die Frage ist nur, was die größte Sünde ist: Eine Beziehung zu beenden oder in einer nicht funktionierenden Beziehung zugrunde zu gehen.“ Knieling ist Professor für praktische Theologie an der Evangelistenschule Johanneum und selbst geschieden. Sünde sei das, was das Leben einschränke.

„In dieser unvollendeten Welt kann ich das nicht immer vermeiden. Ich kann mich manchmal nur zwischen zwei Wegen entscheiden, die beide sichtbar nicht die besten sind und bei denen ich eine menschliche Einschätzung brauche – Was ist der dem Leben dienlichere Weg? Für mich und für andere.“

Diese Position Knielings schildert Daniel Schneider in seinem Buch „Tabu Trennung“, in dem er sich mit Fragen zum Thema Trennung und Scheidung aus christlicher Perspektive beschäftigt. Nach wie vor ist das Thema eines, mit dem die christliche Welt sich schwer tut oder es gar tabuisiert.

Kein Blankoscheck für eine gelingende Ehe

Das steht fest: Auch wenn eine Ehe unter Gottes Segen geschlossen wird und sich beide Partner in die Ehe einbringen, ist dies doch kein Blankoscheck dafür, dass in der Beziehung automatisch alles glatt läuft. Das hat auch Schneider bei seinen Recherchen festgestellt. Für sein Buch sprach er, selbst Theologe, mit zahlreichen Betroffenen – gläubigen Christen, die in einer Beziehung gescheitert sind. In den Gesprächen wird klar: Scheiden tut weh. Und sind gemeinsame Kinder im Spiel, ist die Situation nochmals dramatischer.

„Christen denken oft, dass in Sachen Beziehung alles vom Himmel fällt.“ Silke Bolduan

Eine von denen, die in dem Buch zu Wort kommen, ist Silke Bolduan, Mutter von zwei Kindern. Sie leitet als Sozialpädagogin eine Praxis für Einzel-, Paar- und Familienberatung und ist frisch geschieden. Sie erläutert ein Missverständnis, das bei sehr gläubigen Menschen oft vorherrsche: „Besonders Christen denken oft, dass in Sachen Beziehung alles vom Himmel fällt, wenn sie nur genug dafür beten. Das ist ein großer Irrtum.“

Bedenklich findet sie auch, dass die Psychologie in manchen christlichen Kreisen verteufelt werde. Die Psychologie erforsche, wie Menschen ticken. Das gelte es in der Therapie einzusetzen. Es sei „geradezu töricht, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt Bolduan. Aber Psychologie selber könne einen Menschen nicht verändern, noch eine Beziehungskrise lösen, sondern nur erklären und mögliche Ursachen dafür auftun. „Zur Veränderung muss ich als selbst aktiv werden.“ Jeder habe eine Eigenverantwortung. „Und dabei wiederum hilft mir Gottes Kraft und Wirken.“

Ehe wie „im Gefängnis“

Auch Hanna Seidels (Name von der Redaktion geändert) Ehe wurde mit kirchlichem Segen geschlossen. Sie heiratete vor rund 25 Jahren ihren Mann, der aus dem Mittleren Osten stammte. Er habe ihr gesagt, er sei Christ geworden. Nach der Hochzeit wandelte sich sein Verhalten, erzählt sie im Gespräch mit pro. Am Gemeindeleben sei er nicht interessiert gewesen, in den folgenden Jahren habe er sie und die Kinder nach und nach komplett isoliert, sie durften nur auf die Arbeit und in die Schule.

Der Mann übte permanent Druck auf sie aus, schrie sie an, redete teils mehrere Stunden auf sie ein, engte sie räumlich ein, machte sie klein. „Ich fühlte mich wie im Gefängnis. Ich lebte die ganze Zeit unter Anspannung. Ich dachte: ‚Das musst du jetzt ein Leben lang ertragen‘“, schildert Seidel. Acht Jahre lang betete sie dafür, dass es besser wird. „Es wurde aber eher schlimmer.“ Für sie war es eine Qual, ihre Kinder in Angst und Zerrissenheit zu sehen. An einem Samstag, als ihr Mann ausnahmsweise nicht zu Hause war, floh sie mit ihren Kindern in ein Frauenhaus. Es kam zur Trennung und schließlich zur Scheidung.

Einen Scheidungsantrag stellen in Deutschland öfter Frauen Foto: pro
Einen Scheidungsantrag stellen in Deutschland öfter Frauen

Laut einer Studie des christlichen Studienzentrums „Barna Group“ ist die Scheidungsrate bei Gläubigen in den USA etwas höher als die von Agnostikern und Atheisten. Andere Erhebungen differenzieren jedoch zwischen aktiven und nicht-aktiven Christen. Diese Studien zeigen, dass Gläubige, die regelmäßig am Gemeindeleben teilnehmen, die Bibel und geistliche Lektüre lesen, privat beten – auch gemeinsam mit dem Partner –, sich seltener scheiden lassen. Für Deutschland gibt es keine solche Erhebungen.

Kampf mit Selbstzweifeln

In jedem Fall sind Gemeinden bei diesem Thema herausgefordert und gehen sehr unterschiedlich damit um. Autor Schneider sagte im Gespräch mit pro: „Gemeinden sollten das etwas entspannter angehen. Da herrscht ganz viel Angst und Unsicherheit.“ Grundsätzlich finde er es wichtig, „Liebe walten zu lassen, und die Angst und die Unsicherheit zu überwinden, sich dem Thema offen zu nähern“.

Gemeindemitglieder sollten die individuelle Person, die eine solche Erfahrung durchmacht, sehen und wertschätzen. „Bei den meisten braucht man keine moralische oder ethische Keule mehr zu schwingen.“ Denn Menschen, deren Beziehung oder Ehe auseinander gebrochen ist, verurteilten sich selbst schon genug und seien mit vielen Selbstzweifeln belastet. „Da sollte die Gemeinde eher Aufbau leisten.“

Daniel Schneider, Jahrgang 1979, ist Journalist, Theologe und Autor und lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Löhne. Er hat kürzlich sein Buch „Tabu Trennung. Ein Journalist sucht Antworten“ veröffentlicht. Foto: Lea Rebecca Wörner
Daniel Schneider, Jahrgang 1979, ist Journalist, Theologe und Autor und lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Löhne. Er hat kürzlich sein Buch „Tabu Trennung. Ein Journalist sucht Antworten“ veröffentlicht.

Schneider plädiert für Annahme statt Verurteilung. Herausfinden, was braucht die Person jetzt, wie kann man als Gemeinde dem Menschen helfen – Ruhe, Entlastung oder doch ein Gespräch, durch das ein Vertrauter in das Leben hineinsprechen darf? „Es ist nicht die allerschlimmste Untat unter der Sonne, wenn man sich scheiden lässt. Es wird manchmal gespiegelt, dass man dadurch eine Persona non grata wird. Da ist das Verhältnis schief.“

Seidel, die vor ihrem Mann floh, fand sich mit der Frage nach Trennen oder Bleiben gedanklich in einem Zwiespalt und rang mit sich selbst. Wegen ihres Glaubens dachte sie: Die Ehe hat einen hohen Stellenwert. Man darf sie nicht scheiden. Andererseits war ihr klar: Es geht nicht anders. Über die Beziehung sagt sie: „Es war keine Ehe. Es war Quälerei. Ich habe keine Liebe, keine Anerkennung, keine Zuneigung von ihm bekommen.“

Luther erklärt Ehe zum „weltlich Ding“

Die Kirchen gehen unterschiedlich mit Ehe und Scheidung um. In der Katholischen Kirche ist die Ehe ein Sakrament. Bislang war es Wiederverheirateten auch nicht erlaubt, die Kommunion zu empfangen. Jedoch geht die Kirche heute auf zivilrechtlich Geschiedene und Wiederverheiratete zu. In Einzelfällen können sie nach seelsorglicher Begleitung mittlerweile das Abendmahl empfangen. Das geht aus der Anfang Februar von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Handreichung „,Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche‘ – Einladung zu einer erneuerten Ehe- und Familienpastoral im Licht von Amoris Laetitia“ hervor.

In den evangelischen Landeskirchen gilt die Ehe nicht wie die Taufe und das Abendmahl als Sakrament. Martin Luther erklärte die Ehe zum „weltlich Ding“. In ihrem Glaubens-ABC schreibt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): „Beide Kirchen sehen die Ehe als prinzipiell unauflösbar an. Daraus ist jedoch keine generelle Unmöglichkeit der Ehescheidung zu schließen.“ In der evangelischen Kirche ist die Wiederheirat Geschiedener prinzipiell möglich.

Gemeinsames Abendmahl für Geschiedene

Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, selbst geschieden, sagte: „Eine Scheidung ist eine Erschütterung.“ Sie sprach sich in einem Interview der Online-Plattform evangelisch.de für ein gemeinsames Abendmahl der Getrennten aus: „Es ist ein Zeichen, durch das Menschen sagen: Wir trennen uns. Aber das, was wir geteilt haben, bleibt wertvoll, da gibt es auch Frieden.“ Kirchen verschiedener Konfessionen bieten Gottesdienste für Geschiedene an. So erklärte etwa die Diözese Rottenburg-Stuttgart ihren ökumenischen Gottesdienst für Geschiedene als einen, „der Räume bietet für Trauer, Wut und Schmerz, aber auch für Hoffnung und Neubeginn“.

Unter einer Scheidung leiden nicht nur Betroffene, sondern auch Menschen, die ihnen nahe stehen Foto: glendali / sxc
Unter einer Scheidung leiden nicht nur Betroffene, sondern auch Menschen, die ihnen nahe stehen

Auch Freikirchen handhaben das Thema Trennung und Scheidung unterschiedlich. In einer 2007 veröffentlichten Erklärung erläutert etwa der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) seine Haltung: Ehescheidungen und Wiederheirat Geschiedener widersprechen dem Willen Gottes. Jedoch benenne das Neue Testament die Unzucht des Ehepartners (Matthäus 5,32; 19,9) und den Widerwillen eines Ungläubigen, mit seinem gläubigen Ehepartner verheiratet zu bleiben (1. Korinther 7,15), als Scheidungsgründe. Trotzdem: „In jedem Fall hat eine Ehescheidung mit Sünde zu tun, da sie dem ursprünglichen Willen Gottes entgegensteht.“

Pfingstkirchen: emotionale Zerrüttung und Auseinanderleben kein Scheidungsgrund

Eine Wiederheirat lehne das Neue Testament grundsätzlich ab, eine dem Evangelium entsprechende Ehe-Ethik könne aber „unter besonderen Bedingungen eine Wiederheirat Geschiedener akzeptieren“. Lassen sich Älteste und verantwortlichen Mitarbeitern sowie Pastoren in einer FeG scheiden, schade dies „der Glaubwürdigkeit des Dienstes und dem Ansehen der Gemeinde“. Deshalb soll die Gemeindeleitung oder die des Gemeindebundes prüfen, ob der Dienst fortgesetzt werden kann. Nötig sei in jedem Fall „eine gründliche seelsorgerische Aufarbeitung“.

Baptisten und Evangelisch-methodistische Kirche handhaben dies ähnlich. Der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden schließt in einer Verlautbarung Scheidung wegen „emotionaler Zerrüttung, Auseinanderleben, Krankheit, geschwundener Liebe“ aus. Aus diesen Gründen eröffne sich „keine Option zur legitimen Wiederheirat“.

Die Trends zur längeren durchschnittlichen Ehedauer wie auch zum höheren Durchschnittsalter der Geschiedenen setzen sich weiter fort. Die 2015 geschiedenen Ehen hatten im Durchschnitt etwa 15 Ehejahre bestanden. Für die 1990 Geschiedenen war die durchschnittliche Ehedauer noch dreieinhalb Jahre kürzer gewesen. Foto: pro
Die Trends zur längeren durchschnittlichen Ehedauer wie auch zum höheren Durchschnittsalter der Geschiedenen setzen sich weiter fort. Die 2015 geschiedenen Ehen hatten im Durchschnitt etwa 15 Ehejahre bestanden. Für die 1990 Geschiedenen war die durchschnittliche Ehedauer noch dreieinhalb Jahre kürzer gewesen.

Getrennte brauchen Trost, keine Verurteilung

Schneider spricht sich im Gespräch mit pro dafür aus, Geschiedene weiterhin in der Gemeinde mitarbeiten zu lassen: „Wenn man die Bibel im ganz Großen nimmt, ist sie ein Buch der Liebe von Gott zu den Menschen. Dazu gehört auch, dass man Missstände anspricht.“ Wenn Menschen aber nicht mehr Teil einer Gemeinde sein oder mitarbeiten dürfen, weil sie persönlich in einer Beziehung gescheitert sind, hat Schneider dafür kein Verständnis. „Das ist auf jeden Fall nicht das, was Jesus und Gott möchten“, meint er. Beim Blick in die Bibel findet sich im ersten Brief von Paulus an Timotheus eine Liste der Voraussetzungen für das Amt des Gemeindeleiters und der Diakone. Darin heißt es auch, sie sollen „Mann einer einzigen Frau sein“.

Aber auch unabhängig von der geistlichen Bewertung sollte jeder die eigene Haltung gegenüber Betroffenen überprüfen. Nur allzu schnell gehen die gedanklichen Schubladen auf, wenn man von einer Trennung erfährt: „Da muss irgendwas schief gelaufen sein, die hätten sich mehr anstrengen können“, beschreibt Schneider Gedankengänge, bei denen er sich selber schon erwischt hat. Er wünscht sich und anderen, aus diesem Reflexdenken herauszukommen: „Als ich das nochmal reflektierte, dachte ich: Was maße ich mir an? Ich urteile, ohne die Hintergründe zu kennen. So werde ich weder der Bibel noch den Menschen gerecht.“

Der Autor Daniel Schneider sagt, er habe auch persönlich von der Arbeit am Buch „Tabu Trennung“ profitiert und zieht sein Fazit Foto: pro
Der Autor Daniel Schneider sagt, er habe auch persönlich von der Arbeit am Buch „Tabu Trennung“ profitiert und zieht sein Fazit

Nach ihrer Flucht ins Frauenhaus und ihrer Scheidung erlebte auch Seidel in ihrer neuen Gemeinde, dass vereinzelt Menschen, die nicht ihre ganze Geschichte kannten, darüber urteilten, warum sie die Ehe beendet hatte. Es könne doch nicht so schwierig sein, sagten manche. „Das macht die eigene Situation noch schlimmer. Das hat mich getroffen.“ Denn sie hatte selbst schon mit Zweifeln zu kämpfen: „Ich habe gedacht, ich bin bei Gott unten durch, er hat keine Gnade mehr für mich übrig.“ Unter diesem Makel litten viele Getrennte, sagt Seidel.

Gott ist auch im Scheitern da

Diese Reaktionen waren bei ihr jedoch die Ausnahme. Generell war die Gemeinde eine große Unterstützung für sie und ihre Kinder: durch Gespräche, gemeinsame Zeit, Kinderbetreuung, praktische Tipps für Reparaturen in der Wohnung. Die Gemeinde vermittelte ihr, „anerkannt zu sein und dazu zu gehören“, es fühlte sich „wie Familie“ an. Seidel fasst rückblickend zusammen: „Es ist eine große Hilfe, wenn Leute in der Gemeinde nicht in die Kerbe schlagen und dich verurteilen, sondern dich auffangen, dir sagen, du bist ein Kind Gottes, er geht mit dir.“

Christen, die in Trennung leben oder sich scheiden lassen, hilft keine Verurteilung. Sie benötigen Trost, ein offenes Ohr, Gebet, Zuspruch. Das Thema Trennung und Scheidung fordert Gemeinden, gleichzeitig können sie auch daran wachsen. Schneider lässt in seinem Buch Reiner Knieling, den Professor für praktische Theologie am Johanneum, erklären, wie dieser Scheitern sieht: „Das ist für mich immer regelrecht komisch, wenn ich höre, dass da, wo etwas gelingt, Gott mehr präsent sein sollte als da, wo etwas nicht gelingt.“ Natürlich wünsche sich Knieling Gelingen. „Aber das Geniale der biblischen Botschaft steckt für mich darin, dass genau da, wo etwas schief geht, Gott präsent ist. Also, dass er mitten in dem Schmerz gegenwärtig ist.“ Gott entfalte mitten im menschlichen Scheitern seine Kraft. (pro)

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 2/2017 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie es kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.

Von: Martina Blatt

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