„Stellen Sie sich eine Katze vor”

Katie Holmes und Leah Remini sind nicht nur für ihre Schauspielerei bekannt – sie sind auch die derzeit wohl populärsten Scientology-Aussteigerinnen. Ehemalige Mitglieder wie sie berichten immer wieder von Gehirnwäsche, Folter und sozialer Isolation. pro hat die Berliner Zentrale der Sekte besucht und getestet, wie die Hubbard-Jünger Menschen ködern.
Von PRO
Scientologen missionieren in Berliner Fußgängerzonen. In der Hauptstadt zählen sie rund 130 Mitglieder, sagen Sektenexperten
Ich habe Bauchschmerzen. Sie sind während der zehnminütigen Radfahrt vom Berliner Redaktionsbüro zur Niederlassung der Sekte Scientology immer schlimmer geworden. Nun stehe ich vor dem sechsstöckigen Betonbau, der 2007 in der Hauptstadt seine Tore öffnete. Charlottenburger Eltern waren damals besorgt um ihre Kinder, die Sektenexpertin Ursula Caberta erklärte, es sei zu befürchten, dass sich in dem Prachtbau die europäische Elite der Scientologen zusammenfinde. Mittlerweile ist es ruhig geworden um das riesige Gebäude, das nahe der Straße des 17. Juni, der Halsschlagader Berlins, liegt. Zuletzt war es Schauspielerin Leah Remini, Carrie Heffernan aus der Comedyserie King of Queens, die den Abschied von der einst von L. Ron Hubbard gegründeten Sekte wagte und öffentlich über Beschattung und Unterdrückung berichtete. Der Autor Lawrence Wright hat für sein Buch „Im Gefängnis des Glaubens” mit 200 Scientologen und Aussteigern gesprochen und berichtet nun von Kindesmisshandlungen, Straflagern und Gehirnwäsche. Er selbst werde seit der Veröffentlichung im Januar von Privatdetektiven verfolgt.

Im Herzen von Scientology Berlin

Ich betrete das helle Erdgeschoss. Eine enge Drehtür schleust Besucher in das Herz von Scientology in Berlin. Viele sind es nicht. An diesem Morgen bleibe ich trotz zweistündigen Aufenthalts der einzige Neuling, der sich für die Sekte interessiert. Laut Verfassungsschutz ist die Zahl der Scientologen in Deutschland trotz massiver Werbemaßnahmen rückläufig. 2009 schätzten die Behörden, es gebe bis zu 6.500 Anhänger, 2012 waren es deutschlandweit nicht mehr als 4.000. Die Berliner Organisation umfasst maximal 130 Personen. Hinter dem halbrunden Empfangstresen sitzt eine vielleicht 20-jährige Frau – weiße Bluse, unscheinbares Gesicht, dunkelblonde Haare. Ob ich einen Persönlichkeitstest machen kann, frage ich. Klar, kein Problem, dauert nur ein paar Minuten. Die Empfangsdame bringt mich in einen Raum mit Holztischen und Blick nach draußen. Alles spielt sich im Erdgeschoss ab, die oberen Etagen, wo Scientology Seminare gibt und Mentoren ausbildet, sind für mich tabu. Sie gibt mir zwei Bögen, auf dem einen stehen Aussagen, auf dem anderen soll ich ankreuzen, ob ich zustimme, ablehne oder unentschlossen bin. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie zu viel reden? Eindeutig ja. Würde es Sie eine eindeutige Anstrengung kosten, Selbstmord in Erwägung zu ziehen? Du meine Güte, ja. Ab und an wandert mein Blick an die Wand neben mir. Dort sind zwei Diagramme aufgehängt, eines verläuft wellenförmig, das andere flacher. Before dianetics – vor der Dianetik – und danach, steht darunter

„Was wäre, wenn ich Ihnen sage, dass all diese Dinge funktionieren?”

Eine Frau Mitte Dreißig, genauso gut geschminkt wie die Barbiepuppen-Gesichter in den Propaganda-Videos der Sekte, nimmt mir meine Bögen ab und macht sich an die Auswertung. Mit dem Testergebnis in der Hand führt sie mich an einen Tisch und nimmt mir gegenüber Platz. „Was wäre, wenn ich Ihnen sage, dass all die Dinge, von denen die Presse so negativ berichtet, wirklich funktionieren?”, fragt sie und fährt fort: „Die Welt ist völlig chaotisch, alles läuft ganz falsch.” Das sehe man etwa am Beispiel der Psychotherapie. Milliarden Dollar gäben Menschen weltweit im Jahr dafür aus – dabei sei die Methodik völlig sinnlos. „Sie helfen kein bisschen, meine eigene Mutter war jahrelang in einer psychiatrischen Behandlung und heute geht es ihr kein Stück besser”, erklärt sie. Laut der Hamburger Sektenexpertin Ursula Caberta setzen Scientologen bei jeder Art von Krankheit „in erster Linie auf abstruse Reinigungsgänge”. Scientologen betrachteten Medizin im Allgemeinen als Teufelszeug, Krankheiten würden mit fragwürdigen Methoden behandelt. Scientology bestreitet das. Als John Travoltas Sohn Jett 2009 im Alter von 16 Jahren auf den Bahamas ums Leben kam – er soll bei einem Krampfanfall gestürzt sein –, mutmaßte Caberta, dass der Junge ohne Scientology noch am Leben sein könnte. Die Travoltas gelten zusammen mit Tom Cruise als prominenteste Zugpferde der Sekte. Jett soll unter dem Kawasaki-Syndrom gelitten haben. Diese seltene Erkrankung kann Herzkrankheiten oder Krämpfe auslösen. Statt ärztlicher Hilfe habe die Familie ihm Vitaminpräparate in hoher Dosis verabreicht und viele Saunagänge verordnet, „um das ganze Übel auszuschwitzen. Für einen ohnehin schon angegriffenen Organismus ist das in den allerwenigsten Fällen gut“, sagte Caberta. Vor mir liegt ein Graph, ganz wie der, den ich zuvor an der Wand gesehen habe. Alles in allem sei ich stabil, zudem überaus aktiv, sagt meine Mentorin. Aber es gebe da etwas, an dem ich arbeiten müsse, ist sie sich sicher und deutet auf den Teil der Linie, der weit unter mittelmäßig abfällt. Demnach bin ich unverantwortlich, stimme so gut wie nie mit anderen überein und lebe eher zurückgezogen. Laut Auswertung ist dieser Zustand „unakzeptierbar”, gut, dass ich mich darin ohnehin nicht wiedererkenne. „Was muss ich tun?” Ein Kollege kommt dazu, groß, dünn, Mitte Zwanzig, Milchbubigesicht. Er empfiehlt mir „auf jeden Fall” Dianetik. Das Buch dazu sei zusammen mit der DVD für 35 Euro zu haben, wenn ich es gleich mitnehmen will. Als ich zögerlich sage, dass ich darüber nachdenke, wird er vehement. „Es wäre sehr gut für Sie”, sagt er mit sächsischem Dialekt und hartem Blick. Ein Seminar legt er mir außerdem ans Herz. Das Programm besteht aus dem Ansehen von Filmen und Auditing-Sitzungen mit einem Partner. „Was genau passiert denn beim Auditing?”, frage ich. „Das sage ich Ihnen nicht, so arbeiten wir hier nicht. Sie verstehen es, wenn Sie es getan haben.” Ich lehne ab, doch ganz so leicht lässt man mich hier nicht davon kommen. Ein Video zur Dianetik soll ich noch anschauen. Unter Auditing, einem Teil der Dianetik, verstehen Scientologen Sitzungen, in denen sie unter Anleitung eines Mentors zu höheren spirituellen Bewusstseinsstufen gelangen sollen. Konkret bedeutet das, dass sie Fragen beantworten, um eventuelle Verletzungen oder Fehlverhalten in der Vergangenheit herauszukristallisieren. Dazu wird ein E-Meter benutzt, das laut Scientology „den geistigen Zustand” eines Menschen misst und ähnlich wie ein Lügendetektor funktioniert. Mit Hilfe zweier in den Händen gehaltener Elektroden zeigt es Veränderungen des elektrischen Widerstandes des Körpers an. Diese Prozedur soll den Menschen schließlich „rein” machen. Das ist die von allen Scientologen angestrebte Bewusstseinsstufe. In diesem Zustand sind Körper und Geist leistungsfähiger, glauben die Hubbard-Jünger. Ich setze mich gemeinsam mit der Auswerterin meines Tests auf eine rote Couch im Eingangsbereich. Nach der Filmvorführung frage ich die Frau, was sie eigentlich zu Scientology gebracht habe. Krank sei sie gewesen, immer schon. Eine schlimme Kindheit habe sie gehabt. Dann sei ihr ein Scientologe begegnet. Heute sei sie meistens gesund. Nicht alle Schmerzen seien weggegangen, aber viele. „70 Prozent der Krankheiten sind psychosomatisch und durch Dianetik heilbar”, sagt sie. Wie das? Sie malt ein Strichmännchen auf ein Stück Papier, darüber senkrechte Striche und darüber eine Art Heiligenschein. „Das ist Ihr Körper, das darüber sind Ihre negativen Erfahrungen, wir nennen das Engramme, und das ganz oben ist Ihr eigentliches Ich, das heißt Thetan”, erklärt sie.

Die Sache mit den Außerirdischen

Der Thetan ist Hubbard zufolge der wahre Mensch, der von Grund auf gut ist. Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck haben in ihrem Buch „Scientology – Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will“ aus dem Jahr 2008 aufgeschrieben, was Scientologen darunter verstehen. Demnach kommunizieren Thetanen mittels Telepathie. Sie können Objekte telepathisch steuern und sich mit höchster Geschwindigkeit fortbewegen. Thetanen lebten einst im All, sie sind allmächtige und unsterbliche Geistwesen. Weil sie sich selbst nicht beherrschen konnten, sind die Außerirdischen dazu verurteilt, durch die Körper der Menschen zu wandern und dort mit Engrammen gequält zu werden. Denn Thetanen sind unsterblich und müssen nach jedem Aufenthalt in einer sterblichen Hülle einen neuen Körper finden. Ziel des Auditings ist es demnach, die Kontrolle über die quälenden Engramme zu gewinnen und damit den Thetan zu befreien. Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen beschreibt den religiösen Aspekt der Scientology ähnlich. Dass Thetanen unabhängig vom Körper agieren, will mir meine Mentorin dann auch gleich beweisen. „Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich eine Katze vor.” Mache ich. „Sehen Sie die Katze?” Ja. „Können Sie sich das Miauen vorstellen?” Ja. „Nun öffnen Sie die Augen – Sehen Sie, es gibt keine Katze. Allein Ihr Geist hat agiert, ganz ohne Ihre Augen, Ihren Körper.” Mit meinem Testergebnis in der Hand verlasse ich das Gebäude. Die Bauchschmerzen sind weg. Sie waren wohl wirklich psychosomatisch. Verschwunden sind sie ganz ohne Auditing – einfach indem ich die Sekte, die vorgibt eine Kirche zu sein, hinter mir gelassen habe. (pro)Lesen Sie den kompletten Artikel in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro (5/2013). Kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online .
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft.html?&news[action]=detail&news[id]=7068
https://www.pro-medienmagazin.de/buecher.html?&news[action]=detail&news[id]=7035
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen.html?&news[action]=detail&news[id]=6848
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen