Kirchenaustritt – ein Ding der Unmöglichkeit?

Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat die hohe Zahl der Kirchenaustritte aufgrund der Skandale zum Titelthema ihrer aktuellen Ausgabe gemacht. Besonders die katholische Kirche trifft eine Austrittswelle, und die "Zeit" stell fest: "Mixa, Missbrauch und die anderen Skandale: Nie war die Versuchung größer, aus der Kirche auszutreten."
Von PRO

Vier Artikel beschäftigen sich mit den Austritten, und die Zeitung hat sie unter die Überschrift gestellt: "Wo seid ihr, meine Jünger?". Der Autor Christian Denso hat sich im Bistum Augsburg umgesehen. Nach dem Skandal um den dortigen Bischof Walter Mixa hätten sich "sogar Fromme und Engagierte" aus der katholischen Kirche verabschiedet, stellt er fest.

"Austreten ist ganz einfach", beginnt Denso seinen Artikel. Es koste lediglich Gebühren in Höhe von 31 Euro, Ehepaare zahlten 41 Euro. In Augsburg seien im Mai 249 Personen aus der Kirche ausgetreten, im Juni bisher 121. Der Amtsleiter bestätigt, dass der Skandal um Bischof Walter Mixa seine Spuren hinterlassen habe. Das Bistum Augsburg umfasst über 1.000 Pfarreien und fast 1,4 Millionen registrierte Mitglieder. Damit ist es eine der größten der 27 Diözesen in Deutschland. "Allein im Bistum Augsburg haben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 6.640 Menschen ihrer Kirche den Rücken gekehrt – doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum."

Andererseits sei der Austritt aus der Kirche für viele Gläubige aber eben doch nicht so leicht. Eine Pfarrgemeinderätin aus der Region etwa habe "Bauchschmerzen" bei dem Gedanken. Sie ist in ihrer Kirchengemeinde engagiert, doch Zweifel kommen ihr beim Blick auf Rom, auf die Amtskirche. Bei der Affäre um Mixa empfinde sie "Zorn und Scham", der Dauerkonflikt nervt sie als "Kasperltheater". "Wer in diesen Wochen durch das Bistum reist, trifft auf Menschen, die nach langem Ringen ausgetreten sind", schreibt Denso. Kein Wunder, denn es gelte: "Wer austritt, ist exkommuniziert. Kein Pfarrer darf ihn beerdigen. Er darf in keiner katholischen Ehe Trauzeuge sein, keinem Kind ein Pate."

Es gebe genauso auch Konservative, die wegen des Rücktritts von Mixa austreten. "Wochenlang füllten die Verbitterten die Leserbriefspalten der ‚Augsburger Allgemeinen‘ oder der ‚Katholischen Sonntagszeitung‘. Vom ‚Opfer Mixa‘ ist da die Rede, von ‚bösen Medien‘ und ‚feindlicher Treibjagd‘." Einer von denen, die sich hinter Mixa gestellt hatten, ist, Dirk Herman Voß, Chef des St.-Ulrich-Verlages, eines katholischen "Medienimperiums mit ‚Sonntagszeitung‘, Internet-Fernsehsender und Werbeagentur". Er sei so etwas wie Mixas "Einflüsterer" gewesen, schreibt Denso. Wie Voß wollten viele Mixa als Opfer einer Intrige darstellen.

"Kirchenaustritt ist ein Ding der Unmöglichkeit"

Robert Leicht, ehemaliger Chefredakteur der "Zeit" und sechs Jahre lang Ratsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist der Meinung: "Der Kirchenaustritt ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit." Zwar sei mit der Unterschrift unter ein Dokument der Austritt aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Kirche leicht. Doch theologisch gesehen werde mit der Taufe zwischen dem Täufling und Gott ein "unzerstörbares Band" geknüpft. Leicht fügt hinzu: "Unzerstörbar auch deshalb, weil selbst der tiefste Sündenfall gegen diesen sakramentalen Akt nicht ankommen kann."

Wer den Kirchen ein Sündenregister vorhalte und ihnen den Rücken zukehre, mache es sich als Christ zu einfach, ist Leicht überzeugt. "Erstens, wer säße nicht selber in irgendeinem Glashaus?" Zweitens fragt er, ob man nicht durch eigenes Engagement die Kirche von innen erneuern sollte. Ein Vorschlag laute, ein Christ könne aus der "verfassten Kirche" zwar austreten, am kirchlichen und liturgischen Geschehen könne man aber weiter teilnehmen. Um die Kirchensteuer auszugleichen, könne man ja einen entsprechenden Betrag spenden. Das bezeichnet Leicht jedoch nur als "(Alarm-)Zeichen" des Problems, nicht als dessen Lösung.

Patrick Schwarz schreibt in seinem Beitrag, dass der Fall Mixa "zum ersten Fingerzeig dafür geworden (ist), dass die Kirchenwelt nach dem Missbrauchsskandal des Jahres 2010 womöglich wirklich eine andere wird". Ein weiterer Artikel klärt auf: "1910 waren 51,4 Prozent der Deutschen katholisch und 46,9 Prozent evangelisch. Mittlerweile sind es nur noch jeweils um die 30 Prozent, die zumindest formell einer der beiden großen Kirchen angehören."

Der Münchener Theologie-Professor Friedrich Wilhelm Graf habe festgestellt, dass es auf katholischer Seite seit der Wiedervereinigung bis 2008 eine Verlustbilanz von 2,2 Millionen Gläubigen gebe. Es verlieben immer noch rund 25 Millionen Katholiken. "In der evangelischen Kirche lassen sich analoge Prozesse beobachten", schreibt Graf. Von 1990 bis Ende 2008 hätten 3,8 Millionen Menschen die evangelische Kirche verlassen. Es bleiben 24,5 Millionen Protestanten in Deutschland. Dennoch treffe besonders die katholische Kirche eine hohe Zahl an Austritten. Laut einer Forsa-Umfrage denkt ein Viertel der Katholiken ernsthaft über einen Austritt nach. (pro)

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