Die Jagd auf Killerspiele. Wenn Politik auf (virtuelle) Realität trifft

Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch immer wieder kocht der Streit um "Killerspiele" hoch. Bayerns Innenminister will sie verbieten. Jugendliche wehren sich mit einer Briefaktion. Bei näherem Hinschauen wird klar: die Gleichung "Computerspiel gleich Killerspiel gleich Amokgefahr" geht nicht auf. Nun wurde erneut nach Protesten ein großes Treffen von Computerspielern in Karlsruhe abgesagt.
Von PRO

Die Zahlen der Statistiker machen klar: das Spiel mit dem Computer ist keine Nischenbeschäftigung mehr. Ein durchschnittlicher 15-jähriger Junge spielt heutzutage etwa 2,5 Stunden pro Tag am Computer, mit der Spielkonsole oder mit mobilen Geräten. Computerspielen ist unter seinesgleichen gleich nach dem Fernsehen beziehungsweise Videoschauen zweithäufigste Freizeitbeschäftigung. Drei Prozent der männlichen Neuntklässler sind nach Meinung von Experten sogar abhängig.

Selbstverständlich zocken nicht alle diese Jugendlichen Gewaltspiele, die häufig auch als „Killerspiele“ bezeichnet werden. Dennoch: bei einer Befragung unter 11-Jährigen an Berliner Schulen kam heraus: Unter den zehn Lieblingsspielen der Jungen waren drei Spiele, die eigentlich erst ab 16 Jahren freigegeben sind. Auf der Liste stand unter anderem der Ego-Shooter „Counter-Strike“, in dem mit automatischen Waffen auf realistisch aussehende menschliche Gegner geschossen wird.

Der Innenminister von Bayern, Joachim Herrmann (CSU), fordert immer wieder das Verbot von „Killerspielen“. Die Herstellung und die Verbreitung dieser Spiele sollten im Strafgesetz mit Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder einer empfindlichen Geldstrafe bedacht werden. „Menschenverachtende, grausame Gewalttätigkeiten, bei denen der Spieler auch noch Pluspunkte dafür erhält, dass er seine Gegner auf möglichst grausame Weise zu Tode quält, gehören weder in Kinder- noch in Erwachsenenhände“, sagte der Minister bei einem Expertengespräch im September vergangenen Jahres in Berlin. „Eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen droht gegenüber Gewalt abzustumpfen und durch sinkende schulische Leistungen für unsere Gesellschaft verloren zu gehen.“

Der Vorsitzende der Jungen Union Bayerns, der Abgeordnete Stefan Müller, widersprach Herrmann, berichtet der Technikverlag Heise. Auch der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ) wollte dem CSU-Mann nicht folgen. Herrmann zeigte sich daraufhin am Montag „sehr überrascht“. „Ich gehe zugunsten des BDKJ davon aus, dass er nicht weiß, wie brutal und gewaltverherrlichend solche Killerspiele sind“, sagte Herrmann und bekräftigte seine Forderung nach einem Verbot.

Die Redaktion der Computerzeitschrift „PC Games“ war so empört über die Verbotsforderung, dass sie zur Landtagswahl im vergangenen Jahr zu einem Briefprotest aufrief. „Es reicht. Endgültig. Wir haben es satt“, ließen sie verlautbaren. Tausende verschickten den Brief mit dem Titel „Ich wähle keine Spielekiller“. Die Unterzeichner warfen den Politikern „fehlende Sachkompetenz“ sowie „mangelnde Bereitschaft, sich mit einem neuen Medium auseinanderzusetzen“ vor. Immerhin spielten 28 Prozent aller Deutschen über 14 Jahre digitale Spiele. Zudem würden seit dem 1. April 2003 Computer- und Videospiele – ähnlich wie Spielfilme – mit eindeutigen Alters-kennzeichnungen versehen. Auch sei der Begriff „Killerspiel“ „irreführend und diskriminierend“.

„Counter-Strike“-Turnier in Karlsruhe nach Protesten abgesagt

Aus Sorge vor der Verbreitung von „Killerspielen“ protestierten CDU-Politiker nun auch erfolgreich gegen die Austragung des Spiele-Events „Intel Friday Night Game“, das am 5. Juni in Karlsruhe stattfinden sollte. Der Veranstalter, „Turtle Entertainment“, kam einer möglichen Entscheidung der Gemeinderatsmitglieder am Dienstag zuvor und zog von sich aus die Austragung zurück. Wochenlang war das Spiele-Treffen Thema unter den Karlsruher Fraktionen gewesen. Zuletzt forderte die CDU-Fraktion die Kündigung des Mietvertrags. Der Grund: die dort gespielten Spiele hätten „gewaltverherrlichenden, menschenverachtenden und brutalen Charakter“. Bei dem Turnier sollten auch „Counter-Strike“ und „Warcraft“ gespielt werden.

Dabei wurde das „Intel Friday Night Game“ bereits mehrfach verschoben. Zunächst sollte es am 23. März in der Liederhalle in Stuttgart stattfinden. Aufgrund des Amoklaufs im baden-württembergischen Winnenden, bei dem 15 Menschen getötet wurden, wurde es abgesagt. Nach dem Aus für Karlsruhe soll das Treffen nun bereits am 29. Mai in Hannover stattfinden.

Ralf Reichert, Geschäftsführer von „Turtle Entertainment“, zeigte sich in einer Pressemitteilung enttäuscht, „dass eine Veranstaltung, die seit Jahren Ausdruck zeitgenössischer Jugendkultur ist, regelmäßig in 16 deutschen Großstädten gastiert und selbstverständlich unter Beachtung des ohnehin europaweit schärfsten deutschen Jugendschutzes durchgeführt wird“, so sehr von den Karlsruher Kommunalpolitikern bekämpft werde. „Es wird deutlich, dass die große Distanz zu unserer Jugend und den neuen Medien einen schweren Generationskonflikt offen legt“, fügte er hinzu.

Der Jugendschutzbeauftragter und PR-Manager von „Turtle Entertainment“, Ibrahim Mazari, sagte nach der Absage wegen des Amoklaufs im „Stuttgarter Wochenblatt“: „Die e-Sportler in Deutschland sind entsetzt über die Taten von Winnenden, aber ein Zusammenhang zum professionellen eSport besteht in keinster Weise.“ Das Spiel „Counter-Strike“ gehöre seit zehn Jahren zu den beliebtesten Spielen der Welt und sei „die moderne Version des Räuber-und-Gendarm-Spieles“. „Es geht um Spieltaktik und strategisches Denken, ein bisschen wie auch beim Schach.“ Zudem fließe in der deutschen Version gar kein Blut. Kritiker zeigten sich zudem empört, dass genau eine Woche nach Winnenden in den Nürnberger Messehallen die Internationale Waffenschau stattfinden konnte. Echte Waffen seien offenbar kein Problem – Pixel-Waffen hingegen schon.

Auf die Frage, was er besorgten Eltern von Counter-Strike-Spielern sagen würde, antwortet Ibrahim Mazari, die Eltern seien herzlich eingeladen, in Stuttgart die Veranstaltung „Eltern LAN“ zu besuchen. Dort wollten die Veranstalter gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung Eltern einladen, sich „Counter-Strike“ einmal selbst genau anzusehen.

Studie: Familienhintergrund entscheidend

Am heutigen Mittwoch berichtet Heise von einer Studie aus der Medienwirkungsforschung, nach der Computerspiele meistens erst dann zu mehr Gewalt bei Jugendlichen führen können, wenn andere problematische Faktoren hinzukommen. Der Konsum von Gewaltdarstellungen etwa in Computerspielen führe nicht generell, „aber im Kontext von anderen problematischen Lebens- und Umweltfaktoren bei Jugendlichen zu einer erhöhten Gefährdung“, so das Ergebnis. Die Studie wurde von der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel für das schweizerische Bundesamt für Sozialversicherungen durchgeführt.

Deren Autor Olivier Steiner erklärte, dass die Gewaltneigung von Jugendlichen durch ein Zusammentreffen von problematischen Faktoren bedingt sei: dem Erziehungsstil der Eltern, Geschlechterrollenstereotypen, Depressionsneigung, Beziehungen zu Mitschülern und Lehrpersonen und Armut. Gerade Jugendliche, die im „echten Leben“ wenig Anerkennung bekommen, liefen Gefahr, bei der Flucht aus dem Alltag in die Computerspielsucht abzudriften, so die Forscher. Ein weiteres erschreckendes Resultat: Besonders suchtanfällig sind zudem junge Menschen, die als Kinder misshandelt oder vernachlässigt wurden. Außerdem stellt er fest, dass beispielsweise mehr als die Hälfte der Eltern nicht alle Spiele kennen, die ihre Kinder nutzen. (PRO)

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