„Spiegel“-Essay: „Absolutheitsanspruch der Religion ist arrogant“

In der aktuellen Ausgabe des "Spiegel" hat sich die Schriftstellerin Karen Duve in einem Essay für eine "Welt ohne Gott" ausgesprochen und eine Generalabrechnung mit dem Christentum vorgenommen. Der oft von Religionsvertretern eingeforderte Respekt stehe etwa der jahrhundertelangen Inquisition deutlich entgegen. Hinzu komme noch die verbreitete Arroganz, im Besitz der allein selig machenden Wahrheit zu sein.
Von PRO

Nicht jedem sei einsichtig, so die 47-Jährige, die zuletzt den Roman „Taxi“ im Eichborn-Verlag veröffentlichte, dass „religiöser Autorität der absolute Vorrang gebührt, dass sie die Verletzung diplomatischer Immunität rechtfertigt, die Ermordung friedlicher Schriftsteller und Filmemacher oder die Ersetzung des Biologieunterrichts durch das bibeltreue Gefasel“.

Bei den jetzt anstehenden Konfirmationsfeiern in der Republik, bei denen 14-Jährige öffentlich jenen Glauben bekennen, „der ihnen durch die Taufe wie ein Eimer über den Kopf gestülpt wurde“, werde die Religion genauso lächerlich gemacht, wie in dem Film „Religulous“, der in dieser Woche in die deutschen Kinos kommt. Filmemacher Bill Maher reiste „zu einigen mehr oder weniger heiligen Orten“ der Welt und befragte die Gläubigen solange, „bis die Nepper, Schlepper, Bauernfänger des Übersinnlichen ihr eitles, dummes, selbstgefälliges oder gieriges Gesicht zeigen“.

Etwas ohne Beweis glauben

Bei dem Film handele es sich um „eine eigentlich bestürzende Bestandsaufnahme dessen, was so geglaubt wird“, schreibt Duve. Maher stelle Fragen nach Menschen, die eigentlich etwas Gutes tun wollen und am Ende so schlimme Dinge wie Inquisition oder Kindesmissbrauch fabrizieren. Menschen, die denken, es sei gut, etwas ohne Beweis einfach zu glauben. „Wieso glauben Menschen, die ansonsten alles völlig rational betrachten, dass Jona drei Tage in einem Fischbauch überleben konnte?“, fragt Duve.

In der Religion herrsche das Verständnis, dass alles, was auf der Erde wächst, Gott „einzig zu dem Zweck erschaffen hat, um sie dem Menschen, dem weit über allen Tieren stehenden Superstar Mensch seiner Schöpfung zu übereignen“. Im bereits 2005 erschienenen „Manifest des evolutionären Humanismus“ habe Michael Schmidt-Salomon „der Gefahr, die von religiösen Rabauken im Atomwaffenzeitalter ausgeht“, eine zeitgemäße Aufklärung entgegengesetzt.

Leider, so Duve, frömmelten immer noch 2,2 Milliarden Christen und 1,4 Milliarden Muslime vor sich hin, während das „überaus scharfsinnige und brennend aktuelle Buch“ Schmidt-Salomons in einem Kleinverlag erschienen sei. Verständlich ist für die Autorin, dass eine religiöse Überzeugung, zu der man nicht durch Argumente gefunden habe, sich auch durch Argumente nicht so schnell erschüttern lasse.

Warum interessiert sich Gott für meine Shopping-Touren?

Warum sich Gott eigentlich für die „öde Existenz, die kleinen gierigen Wünsche, erbärmlichen Hoffnungen und Shopping-Touren“ des Einzelnen interessiere, fragt Duve. Befremdlich wirke auf sie die erstaunliche Beobachtung, „dass demokratisch erzogene Europäer und Amerikaner offenbar die Vorstellung attraktiv finden, in allen Aspekten ihres öffentlichen und privaten Lebens permanent von einem gütigen, himmlischen Diktator überwacht“ zu werden.

Den Beweis für Gottes gütiges Handeln nach der Tsunami-Katastrophe in einem Tage später auf einer Luftmatratze angespülten Kleinkind zu sehen, sei geradezu absurd und beweise, dass Logik nicht die Stärke der Glaubenden sei. Dies symbolisiere eher ein Kind, das verzweifelt am idealisierten Bild seiner in Wirklichkeit saufenden und prügelnden Eltern festhält. „Auch die Existenz von Ungeziefer, Pest und Gendefekten lässt auf eine weniger freundliche Gottheit schließen.“ Gott scheine es zudem zu gefallen, in sowieso armen Regionen die Erde beben zu lassen und dass selbstsüchtige Banker ihre Boni ausgezahlt bekommen. „Katstrophen, Leid und Ungerechtigkeit sind etwas vollkommen Normales in einer Welt ohne Gott“, bilanziert die Autorin

Frauen unterdrückt, Minderheiten verfolgt und Forschung behindert

In Deutschland gebe es zwar keinen wie in Amerika verbreiteten Fundamentalismus. Hier trete die Kirche eher als sozialer Verein auf und selbst Katholiken bestritten nicht mehr die Gültigkeit von Darwins Lehre von der Entstehung der Arten. „Über Jahrhunderte haben die Kirchen auf barbarische Weise Frauen unterdrückt, die Minderheiten verfolgt und die Forschung behindert“, so Duve. Über Motorradgottesdiensten, Familienfreizeiten und „ähnlichem Ringelpiez“ dürfe man nicht vergessen, „mit wem man es eigentlich zu tun hat“.

Die „mittlerweile zahnlose Kirche“ schmeichele sich ein und alles Vergangene werde soweit verbogen und manipuliert, dass die Religion irgendwie Recht behalte, so die Schriftstellerin. Wenn Kirchen sich den Bedürfnissen anpassten, dann nicht, „weil sie zutiefst davon überzeugt sind, sondern weil sie es müssen“. Das Werteverständnis der Katholischen Kirche sei absolut nicht einleuchtend. Die Ablehnung von Kondomen und die gleichzeitige „systematische Vergewaltigung und Folterung von Kindern“ seien ein unauflösbarer Widerspruch: „Man möchte gar nicht wissen, was die heiligen Männer sich in Zeiten geleistet haben, als ihre Macht noch ungebrochen war und ihnen noch keiner auf die Finger geschaut hat“, sieht Duve die Macht der Kirche kritisch.

Bill Maher komme zu folgendem Fazit: „Wenn Sie einer politischen Partei oder einem Verein angehören würden, der mit so viel Gewalt, Bigotterie, Ignoranz, Frauenverachtung und Homophobie behaftet wäre, würden sie protestierend austreten. Wenn sie das nicht tun, sind sie ein Komplize.“ Die Religion beziehe ihre Legitimität aus Millionen von Mitläufern. Das Christentum vertrete eine Weltanschauung, die die Welt gar nicht richtig anschaut.

„Es geht nicht darum, den Glauben an Gott durch den Glauben an die Wissenschaft zu ersetzen“, so Duve. Ein gebildeter Mensch wisse aber, dass die Religionsvertreter auch nicht schlauer seien, sooft sie auch behaupteten, im Besitz einer jahrtausendalten Wahrheit zu sein, die für alle Zeit Gültigkeit habe: „Ein kultivierter Mensch zweifelt“, ist sich Duve sicher. Während Jesus dazu auffordere, zu werden wie die Kinder, lässt Maher seinen Film „Religolous“, ebenso wie Duve ihren Essay, mit den Worten enden: „Werdet erwachsen – oder geht unter.“

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