Siegfried Scherer im pro-Interview: „Jeder muss sagen dürfen, was er glaubt“

Kaum eine naturwissenschaftliche Theorie hat unser Denken nachhaltiger geprägt als Darwins Evolutionstheorie. Charles Darwin sei der Mann, "der Gott entmachtete", heißt es in Berichten. Zum Darwin-Jahr 2009 widmen sich fast alle Medien dem Wissenschaftler, der vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, geboren wurde und vor 150 Jahren, im November 1859, sein Werk "Die Entstehung der Arten" veröffentlichte. Wir haben mit dem Wissenschaftler Siegfried Scherer über Darwins Thesen gesprochen.
Von PRO

pro: Kann man in Deutschland als Wissenschaftler öffentlich sagen, dass man der Evolutionstheorie misstraut?
Siegfried Scherer: Selbstverständlich kann man die Evolutionstheorie öffentlich hinterfragen, die Kritik von Theorien ist schließlich ein ganz normaler Vorgang in der Wissenschaft. Der Verzicht auf Kritik oder deren Verhinderung wäre das Ende der Wissenschaft. Allerdings werden kritische Anfragen an die Evolutionstheorie nicht immer begeistert aufgenommen. Da treten unter Journalisten und selbst unter Naturwissenschaftlern mitunter verblüffende Emotionen zutage. Das ist für unser Fach eigentlich recht ungewöhnlich und liegt wohl nicht nur daran, dass Kritiker der Evolutionstheorie in einer Minderheitenposition sind.

Warum fällt es Evolutionsbiologen so schwer, Kritik an der Theorie Darwins ernst zu nehmen?
Zunächst einmal fällt das nicht allen Evolutionsbiologen schwer. Die Darwin’sche Selektionstheorie ist eine unter mehreren Theorien zur Evolution des Lebens, wenn auch die bisher erfolgreichste. Da führt man durchaus sehr kritische Diskussionen innerhalb der Evolutionsbiologie, was die wissenschaftliche Leistung Darwins übrigens keineswegs schmälert. Nun haben sich einige Biologen weltanschaulich im Sinne eines atheistischen Glaubens festgelegt. Das ist in Ordnung, solange eine faire, wissenschaftliche Diskussion zugelassen wird, doch manchmal begegnet mir in diesen Kreisen ein erschreckend fundamentalistischer Evolutionismus, der jede Evolutionskritik am liebsten mit einem Bann belegen würde. Das hat mit Naturwissenschaft nichts zu tun. Da geht es im Kern darum, ein persönliches materialistisches Weltbild im Namen der Naturwissenschaft absolut zu setzen und gegen kritische Anfragen zu immunisieren. Allerdings gibt es auch eine andere Seite der Medaille. Insbesondere im amerikanisch-kreationistischen Raum wird teilweise auf einer emotionalen oder theologischen Ebene argumentiert, wenn es um naturwissenschaftliche Fragen geht. Außerdem mangelt es dort mitunter deutlich an biologischer Fachkenntnis. Meine Kollegen können eine derartige Kritik nicht ernst nehmen, das finde ich nachvollziehbar.

Distanzieren Sie sich deshalb vom amerikanischen Kreationismus?
Ja, das ist ein Grund. Ein anderes Problem sind für mich die gesellschaftspolitischen, religiös motivierten Ziele des amerikanischen Kreationismus – das gilt übrigens auch für Teile der Intelligent Design Bewegung. In USA läuft im Grunde ein Kulturkampf, der für uns in Deutschland kaum nachvollziehbar ist, Evolution – Schöpfung ist da nur einer von mehreren Aspekten. Die undifferenzierte Vermischung von Religion, Wissenschaft und Politik ergibt einen Cocktail, den ich ziemlich ungenießbar finde. Trotzdem gibt es in USA kompetente, sachlich argumentierende Naturwissenschaftler, deren kritischen Einwände gegen die Evolutionstheorie man sorgfältig hören sollte.

Welche Erfahrungen haben Sie als Evolutionskritiker mit der Öffentlichkeit, insbesondere mit den Medien, gemacht?
Liege ich falsch, wenn ich den Eindruck habe, dass Medienleute manchmal auf Konfrontation aus sind, polarisieren wollen und am liebsten nur die Extreme darstellen, weil das Quote bringt? Ich bin auch Journalisten begegnet, die mit einem vorgefassten und festgefügten Urteil kamen und nur noch ein wenig O-Ton zur Untermalung suchten. Interesse an Sachinformation war da nicht immer offensichtlich. Ich finde, die Medien sollten bei einem Thema, das existentielle Sinnfragen des Menschen so tief berührt, auf tendenziöse Klischees verzichten. Ich wünsche mir eine sachliche, differenzierte und wahrheitsorientierte Berichterstattung. Die darf durchaus kritisch hinterfragen, aber der Journalist muss die Person auch dann achten, wenn sie eine ganz andere als seine Überzeugung vertritt.

Was halten Sie davon, wenn Naturwissenschaftler wie Richard Dawkins sich so sehr bemühen, die Nichtexistenz Gottes zu proklamieren?
Zunächst einmal muss jeder sagen dürfen, was er glaubt. Als Menschen, auch als Naturwissenschaftler, haben wir ja alle eine Weltanschauung, einen mehr oder weniger ausgeprägten christlichen, atheistischen oder anderweitig orientierten Glauben. Manche Wissenschaftler möchten das aber nicht offenlegen und spiegeln so eine wissenschaftliche Objektivität von eigentlich weltanschaulich begründeten Aussagen vor. Richard Dawkins sagt nun aber sehr deutlich, was er glaubt, und diese Offenheit finde ich gut, auch wenn er sich im Ton manchmal deutlich vergreift. Das ergibt doch eine spannende Gesprächsgrundlage! Dawkins hat zwar meines Erachtens eine durchaus einseitige Sicht dessen, was man aus biologischen Daten schlussfolgern kann, aber darüber diskutiere ich gerne –  naturwissenschaftlich, sachlich und kritisch.

Warum fällt es Christen so schwer, Evolution und Schöpfung in Einklang zu bringen?
Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass viele Christen Evolution als Schöpfungsprozess verstehen, so zum Beispiel der Biowissenschaftler Francis Collins, der evangelikale Leiter des berühmten Humanen Genomprojektes. Nach meiner Kenntnis gilt dies für die Mehrheit der Christen in den großen Kirchen und Freikirchen. Andere Christen finden das theologisch schwierig: Ist „Schöpfung durch Evolution“ nicht gleichzusetzen mit „Schöpfung als Überlebensprozess“ – des am besten Angepassten, vereinfacht: des „Stärksten“? Das Selektionsprinzip, das den Tod und das Leiden von vielen nicht optimal Angepassten zwingend beinhaltet, wäre sozusagen ein Kernelement des „natürlichen“ Schöpfungshandelns Gottes. Die neutestamentliche Ethik der Barmherzigkeit bis hin zur Feindesliebe (vgl. Matthäus 5,44) und die Einordnung des Todes als dem letzten Feind des Menschen, von dem er durch Christus erlöst wird (1. Korinther 15,26), steht im maximalen Gegensatz zum Selektionsprinzip. Diesen Gegensatz kennen alle Menschen. Oder möchte etwa jemand freiwillig in einer durch das Selektionsprinzip regierten Gesellschaft leben? Ich weiß wohl, dass damit zunächst nur Probleme markiert sind, keine Lösungen. Aber nicht nur als Christen müssen wir es – neu? – lernen, unterschiedliche Positionen auszuhalten und einander in verschiedenen Überzeugungen zu respektieren. Erst dann können wir die daraus entstehenden theologischen und naturwissenschaftlichen Spannungen in einem freundschaftlichen Dialog gewinnbringend bearbeiten.

Können beide Vorstellungen überhaupt in Einklang gebracht werden?
Wissen Sie, ich bin inzwischen sehr skeptisch, wenn jemand meint, man habe alle wesentlichen Probleme gelöst. Richard Dawkins hat in dem Zusammenhang einmal gesagt: „Alle Fragen über das Leben haben die gleiche Antwort: Natürliche Selektion.“ Na ja. Ich bin auch skeptisch, wenn Christen meinen, dass die Bibel für alle Probleme, zum Beispiel hinsichtlich Schöpfung und Evolution, die perfekte Lösung habe. Seit 25 Jahren arbeite ich an diesem Thema und ich habe viele offene Fragen. Sitzen wir als Menschen mit unserem begrenzten Wissen nicht alle im gleichen Boot? Es gibt so viele ungelöste Probleme und notvolle Fragen. Nein, uns würde kein Zacken aus der Krone brechen, wenn wir das gelegentlich zugeben würden, und das gilt für Christen und Atheisten gleichermaßen.

Was ist Ihre Motivation für Ihre Arbeit als Wissenschaftler? Der Glaube an Gott oder der Wunsch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen?
Zugegeben – ich bin ziemlich neugierig, sozusagen immer auf der Jagd nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sonst wäre ich nicht Wissenschaftler geworden. Biologische Erkenntnis an sich übt eine besondere Faszination aus. Ganz unabhängig vom persönlichen Glauben ist die Biologie ein derart überwältigendes Forschungs- und Wissensgebiet, dass ich meinen Studenten immer wieder zu ihrer Studienfachwahl gratuliere. Persönlich halte ich es für ein großes Vorrecht, die Natur als Schöpfung Gottes begreifen und die Werke meines Schöpfers erforschen zu dürfen.

Gibt es ein Buch zu ID oder Kreationismus, das Sie empfehlen können?
Gerne nenne ich einige Titel. Die aktuelle Position der Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ wird in dem Buch von Junker und Ulrich „Darwins Rätsel. Schöpfung ohne Schöpfer?“, erschienen 2009 im Hänssler Verlag, zusammenfassend und aktuell dargestellt. Dann ist das Buch des schon genannten Francis Collins „Gott und die Gene: Ein Naturwissenschaftler begründet seinen Gottesglauben“, das 2007 erschienen ist, lesenswert. Ein hervorragender Kenner des Intelligent Design ist Markus Rammerstorfer, der „Nur eine Illusion? Biologie und Design“ geschrieben hat. Wer sich für eine naturwissenschaftlich begründete Kritik an verschiedenen Evolutionstheorien interessiert, findet in dem von Reinhard Junker und mir veröffentlichten Buch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ viele Beispiele für offene Fragen der Evolutionsbiologie.

Herr Professor Scherer, vielen Dank!

Professor Siegfried Scherer ist Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobielle Ökologie am Department für Grundlagen der Biowissenschaften der Technischen Universität München. Der Biologe befasst sich neben seiner mikrobiologischen Forschungstätigkeit seit vielen Jahren mit Fragen zur Evolution und hat – neben zahlreichen Fachartikeln – gemeinsam mit Reinhard Junker das Buch „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ (Weyel Verlag, Gießen) herausgegeben.

Weitere Informationen im Internet:
http://www.wort-und-wissen.de
http://www.iguw.de (Institut für Glaube und Wissenschaft)
http://www.karl-heim-gesellschaft.de
http://www.genesisnet.info
http://www.SiegfriedScherer.de (Private website von Siegfried Scherer).

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