EKD-Studie zu Herausforderungen für die Kirchen in der Stadt

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht wieder neue "Chancen für die evangelische Kirche in der Stadt". Am Donnerstag veröffentlichte sie eine Studie, die der Frage nach einer "Wiederkehr der Religion" nachgeht und zu neuen Konzepten der Kirchen in den Städten ermutigen will.
Von PRO

Mehr als 85 Prozent der Bundesbürger leben in Städten. Urbanität sei zwar im Laufe der Zeit zu einem Synonym für Säkularisierung und Entkirchlichung geworden, stellt Bischof Wolfgang Huber im Vorwort zur Studie fest. „Inzwischen aber gilt die These vom fortschreitenden Verfall der Religion in der Moderne und damit auch in den Städten als überholt“, fügt er hinzu. Die Autoren der Studie schreiben: „Die Rede von der ’säkularen‘ Stadt hat lange verdeckt, dass gerade die säkulare Stadt ‚voller Religion‘ ist.“

Konfessionslosigkeit in Ostdeutschland „normales Phänomen“

„Konfessionslosigkeit“ sei nicht deckungsgleich mit „Religionslosigkeit“, betont die Studie, die unter der Leitung des Lübecker Propstes Ralf Meister entstand. Gleichzeitig sei zu beobachten, dass sich Religion – zumindest in bestimmten Milieus – zu einer „Patchwork-Religiosität“ wandele. Zugleich sei Konfessionslosigkeit besonders den ostdeutschen Städten ein „normales Phänomen“ geworden. „Viele Menschen haben bereits in der zweiten oder dritten Generation in ihrem sozialen Umfeld keine Kontakte zu Christen oder kirchlich institutionalisierter Religion.“

Kirchen, die seit jeher in der alten Mitte der Stadt stünden, „stehen immer noch für das, was die Stadt ehemals in ihrem Innersten zusammenhielt. Sie sind Symbole mit Verweischarakter und bergen symbolische Welten, sind ‚Schatzhäuser‘ der Stadt“. Dazu seien in der Stadt neue Symbole hinzugekommen, etwa „Konsumtempel“ oder Banken, die für die Macht des Geldes stünden und die Kirchtürme in der Regel überragten.

„Religion war nie weg“

In Bezug auf die Thesen von einer „Wiederkehr der Religion“ schreiben die Autoren: „Was wiederkehrt, muss einmal fort gewesen sein. Das ist nur eingeschränkt richtig“. Global gesehen könne von einem Rückzug der Religion in den vergangenen Jahrzehnten keine Rede sein. „Alle großen Religionen wachsen im weltweiten Kontext. Die Ausbreitung des Islam und des Christentums hält in weltweiter Perspektive unvermindert an. In einigen Regionen der Welt jedoch gibt es einen Rückgang organisierter Religiosität. Dazu gehört Westeuropa, aber auch Australien und seit jüngster Zeit einige Länder Osteuropas.“

Ein Grund für die unterschiedlichen Auffassungen vom Zustand der Religion sei auch ein unscharfer Begriff von Religiosität, so die EKD-Autoren. „Gilt dem einen schon die mediale Aufmerksamkeit für einige umfangreich kommunizierte Großevents als ausreichender Indikator für die Rückkehr der Religion, so sehen andere die Zeichen dafür in sinkenden Kirchenaustrittszahlen und steigender Gottesdienstfrequenz zu außergewöhnlichen Anlässen.“ Mal sei mit Religion die institutionalisierte kirchliche Form gelebten Glaubens gemeint, ein anderes Mal „alle möglichen kulturellen Phänomene, die einen transzendenten Verweis erlauben“.

Gleichzeitig sei ein „Gewohnheitsatheismus“ weit verbreitet, der „ganz selbstverständlich ohne Gott“ lebe und diese Lebensform keineswegs als defizitär empfinde. „Angesichts von fast 75 Prozent Konfessionslosen in den neuen Bundesländern und einer weiteren Zunahme in den Großstädten der alten Bundesländer kann eine Rückkehr von Religion nicht eine allgemeine soziokulturelle Bewegung meinen, sondern nur eine neue Aufmerksamkeit für religiöse Fragen und Phänomene in der Öffentlichkeit.“

Die Studie räumt jedoch auch der Selbstkritik Platz ein. „Die Kirchen, vor allem die protestantischen Kirchen, haben (den) Auszug aus der städtischen Öffentlichkeit lange mitgemacht. Sie haben ihn teilweise sogar vorangetrieben“, heißt es dort. „Die Glaubens- und Gewissensentscheidung des zu Gott unmittelbaren Christen, die bei Luther noch tief in den Glauben der christlichen Gemeinde eingebunden war, ist offenbar mehr und mehr zu einem Rückzugselement aus der Öffentlichkeit geworden. Die völlige Privatisierung und Individualisierung des Glaubens kann bis zum möglichen Austritt aus der Kirche selbst führen, da er angeblich den Glauben des Einzelnen nicht tangiert. Die Kirchen bieten immer wieder Beispiele ihrer Unfähigkeit, im öffentlichen Raum zu kommunizieren. Die geschlossenen Kirchentüren sind hierfür nur das deutlichste Symbol und ein Zeichen für den Rückzug der Kirchen aus dem öffentlichen Raum.“

Stadt bedeutet Begegnung mit dem Fremden

Stadtluft mache nicht nur sprichwörtlich „frei“, zur Stadt gehöre „von Anfang an die Begegnung mit dem Fremden“, betont die EKD-Studie. Ein zunehmendes Fragen nach Religion sei nicht zuletzt verursacht durch rund drei Millionen Muslime in Deutschland, die mehrheitlich in Städten lebten. Der Islam werde in der Stadt sichtbar – etwa durch Moscheen und Kopftücher.

„Nicht erst der Islamismus mit seinen extremistischen Erscheinungsformen gehört zu den Herausforderungen einer sich ehemals mehrheitlich christlich verstehenden Stadtgesellschaft. Wenn z. B. in einer Stadt wie Hamburg mit einer Gesamtbevölkerung von 1,73 Millionen heute bald so viele Muslime (130.000) wie Katholiken (170.000) leben und die Mitglieder beider großen Kirchen nur noch 43 Prozent der Stadtbewohner ausmachen (Evangelische: 570.000), ist mit der Quantität auch eine neue Qualität gegeben. Das Nebeneinander von Christen und Muslimen wirft die Frage auf, ob Religion langfristig zu einem friedensfördernden Faktor in der Stadt wird oder Stoff für neue, zusätzliche Konflikte bietet.“

Ein entscheidender Punkt in der Diskussion um Religion in unserer Gesellschaft sei deshalb die Begegnung mit anderen Religionen, so das Papier, “ besonders mit dem Islam“. „Die engagierte Diskussion über den Bau einer Moschee in Köln-Ehrenfeld (2007), der Karikaturenstreit und eine daraus entstandene freiwillige Selbstzensur unter Journalisten, die Auseinandersetzung über den Papstvortrag (Regensburg 2006) und die Handreichung der EKD zu ‚Christen und Muslime in Deutschland‘ (2006) – in einer Fülle von Konflikten wird zurzeit über Religion und ihre Bedeutung für eine Gemeinschaft und den einzelnen Gläubigen gestritten.“

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