Emel Algan: „Kopftuchgebot im Koran ist überholt“

W e t z l a r (PRO) - Emel Algan ist die Tochter eines Mitbegründers der "Türkischen Union Europa", besser bekannt unter dem Namen "Milli Görüs". Die 47-jährige Muslimin konnte die extrem konservative Sichtweise ihres Vaters viele Jahre teilen und trug 30 Jahre lang ein Kopftuch. Bis sie sich mit den Versen im Koran genauer beschäftigte – und das Kopftuch ablegte.
Von PRO

Emel Algan wurde 1960 in Istanbul geboren, sie lebt seit vielen Jahren in Berlin. Ihr Vater, ein strenggläubiger Muslim, gründete in Deutschland eine Sektion der muslimischen Gemeinschaft „Milli Görüs“, des heute zweitgrößten islamischen Vereins in Deutschland. Seit 1985 firmiert der Verein mit Sitz in Kerpen bei Köln unter diesem Namen. Seine Ausrichtung und Positionen sind umstritten, vertritt er doch eine extrem konservative Sichtweise des Islam. Auch aus diesem Grund wird „Milli Görüs“ vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen beobachtet.

Den Koran hinterfragt

Emel Algan heiratete mit 19 Jahren, auch auf Druck ihrer Familie, ist Mutter von sechs Kindern. Jahrzehnte trug sie auch das für viele Musliminnen obligatorische Kopftuch. „Lange habe ich nicht hinterfragt, warum muslimische Frauen überhaupt ein Kopftuch tragen sollen“, erklärte Emel Algan auf einer Veranstaltung der CDU Lahn-Dill am Montag in Wetzlar, „bis ich mich mit dem Koran und den entsprechenden Suren näher befasst habe.“

Das Tragen eines Kopftuches ist heute nicht mehr notwendig

Über einen Zeitraum von zwei Jahren befasste sich die Muslimin mit dem Koran – und fasste im Jahr 2004 den Entschluss, ihr Kopftuch abzulegen. Sie war damals 44 Jahre alt. „Im Koran gibt es mehr als 6.000 Verse, und nur zwei befassen sich mit der Verhüllung der Frau“, so Algan. In einem Vers etwa werde Frauen vorgeschrieben, sich zu verhüllen, wenn sie das Haus verlassen. Ein zweiter Koranvers spricht davon, dass Frauen ihren Halsausschnitt verdecken sollen. Emel Algan plädiert jedoch dafür, beide Vorschriften in ihrem historischen Kontext zu bewerten.

„Vor 1.500 Jahren, zur Zeit der ‚Offenbarung‘ des Koran, gab es auch Sklavinnen im arabischen Raum, die wie alle Frauen gekleidet waren. Sie wurden von Männern belästigt. Laut der Überlieferung wurde aus diesem Grund muslimischen Frauen vorgeschrieben, sich zu verhüllen, damit sie nicht mit Sklavinnen verwechselt werden“, so Algan.

Ein weiterer Aspekt sei es zudem, dass sich muslimische Männer nicht von Frauen ablenken lassen: „Aus diesem Grund wird in dem zweiten Koranvers vorgeschrieben, dass Frauen, so heißt es wörtlich, ‚die Tuchenden nach hinten schlagen sollen‘. So wird der Hals und das Dekolleté verdeckt.“

„Muslimische Frauen haben Angst vor Glaubensverlust“

Beide Gründe, die zur damaligen Zeit für eine Verhüllung der Frau sprachen, könnten heute nicht mehr geltend gemacht werden, meint Algan. Es sei zudem verheerend, dass die wenigsten muslimischen Frauen heute die Gründe für die Vorschriften im Koran kennen. „Es sind ein erlerntes Schamgefühl und die Angst vor Sünde und Glaubensverlust, die muslimische Frauen davon abhalten, ihr Kopftuch abzulegen. Auch bei mir hat der Prozess zwei Jahre gedauert“, erklärt Algan.

Das staatliche Vorgehen gegen Musliminnen, die ein Kopftuch tragen, hält Emel Algan jedoch für falsch. „Gesetze gegen das Tragen des Kopftuches etwa für Lehrerinnen oder Beamtinnen wie in Hessen offenbart eine Kommunikationskrise zwischen Politik und Muslimen“, meint die 47-Jährige. Gleichzeitig ist sie überzeugt: „Das Kopftuch ist auch ein Symbol für Abgrenzung und die Entwicklung einer Parallelgesellschaft.“ Integration jedoch setze die Bereitschaft voraus, die Lebenswirklichkeit des Anderen kennenzulernen und diese zu akzeptieren.

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