„Evolutionsdebatte wird auch in Europa lauter“

F r a n k f u r t / M a i n (PRO) - In den USA wird die Diskussion um Evolutionstheorie und Kreationismus seit vielen Jahren öffentlich geführt. Davon ist Europa noch weit entfernt. Zahlreiche Wissenschaftler wollen mit allen Mitteln vermeiden, dass die Debatte eben jene amerikanischen Ausmaße annimmt. Doch die sichere Warte der Evolutionsbefürworter bröckelt - meint die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (F.A.Z.) in einem gleichsam polemischen Beitrag gegen Kreationisten.
Von PRO

„Bisher gehört es zum guten Ton des aufgeklärten Europa, über den Kreationismus zu schweigen, ihn als Phänomen des amerikanischen Sektenwesens abzutun“, schreibt der F.A.Z.-Autor Christian Schwägerl in der Ausgabe vom Mittwoch. Hierzulande habe man das Phänomen, dass Menschen öffentlich ihre Ablehnung gegenüber der Evolutionstheorie äußern, bislang „mit Mitleid aus der Ferne“ betrachtet. Doch: „Es mehren sich die Anzeichen, dass es so einfach nicht bleibt.“

Anzeichen sieht der Autor unter anderem in zwei Veranstaltungen in Berlin. Der Kreationismus sei nun „im hauptstädtischen Debattenbetrieb angekommen“. Am vergangenen Freitag diskutierten im Einstein-Forum in Potsdam namhafte Biologen, Philosophen und Theologen zum Thema „Welche Intelligenz? Darwin und das ‚Intelligent Design'“.

Außerdem werde bald der Präsident der Humboldt-Universität, der evangelische Theologe Christoph Markschies, das Berliner Naturkundemuseum nutzen, um Evolutionsforschern die Gelegenheit zu geben, öffentlich den Kreationismus zu zerpflücken, so die F.A.Z. Derzeitiges zentrales Ausstellungsthema des Museums in Berlins Mitte: „Auf den Spuren der Evolution“.

Beim Einstein-Forum erklärte der amerikanische Wissenschaftshistoriker Ronald Numbers von der Universität Wisconsin seinen Zuhörern, Europa zeige als Insel der Aufklärung Erosionserscheinungen. Dazu muss man wissen: Dahinter steckt die Auffassung, dass Menschen, die Kritik an der Evolutionstheorie üben, nicht aufgeklärt sind. Numbers stellte fest, dass amerikanische Kreationisten – trotzdem – das Internet nutzten, um ihre Botschaften unter anderem in Europa zu verbreiten.

„Allianz aus christlich-wissenschaftsfeindlichen Kreisen und muslimisch-fundamentalistischen Zirkeln“

Die Verknüpfung von christlichen Fundamentalisten mit muslimischen Fanatikern lag nicht weit: in Europa nehme „eine neue ideologische Allianz Gestalt an, die von christlich-wissenschaftsfeindlichen Kreisen bis in muslimisch-fundamentalistische Zirkel reiche“, schrieb Schwägerl. Mit anderen Worten: Wer Argumente gegen die Evolutionstheorie vorbringt, ist ebenso wissenschaftsfeindlich, weil von Religion benebelt, wie fundamentalistische Moslems, die ihre Kinder lieber zu Hause lassen, als sie in die Schulen zu schicken, wo sie etwas über die böse Aufklärung lernen.

„Viele Kinder aus muslimischen Familien dürfen, staatlich geduldet, dem Biologieunterricht fernbleiben“, klärt die F.A.Z. auf. Und von den muslimischen Familien ist es nicht weit bis zu unaufgeklärten Christen, die hartnäckig an der Bibel festhalten: Zu deren „Grundsätzen“ gehöre nämlich, wie bei ihren muslimischen Kollegen, „die Leugnung der Evolutionslehre“.

„Eine katholische Nachrichtenagentur verbreitete nun – mit erfreulich beunruhigtem Unterton – die Nachricht, dass in Berlin oder München ein ‚Genesis-Land‘ entstehen soll, ein kreationistischer Unterhaltungspark“, berichtet die F.A.Z. weiter. „Dahinter steckt offenbar ein Schweizer Ehepaar, das Kinder und Jugendliche dazu bringen will, die Schöpfungsgeschichte ‚in einem Kurzzeitrahmen von sechs- bis zehntausend Jahren‘ zu interpretieren“, so Schwägerl. „Doch wie soll man mit Menschen und Gruppen umgehen, die zweihundert Jahre biologischer Forschung schlichtweg ignorieren, Wissenslücken selektiv für ihre Zwecke missbrauchen oder am Erkenntnisgebäude vorbei eine ’neue Wissenschaft‘ begründen wollen, die den direkten Einfluss übernatürlicher Größen erlaubt?“, lautet schließlich die Frage des Autors.

Die Antwort: Man stelle ihre Kritik falsch dar, begründe ihre Ansichten mit überholten Glaubensvorstellungen, die ebenso festgefahren und zu verteidigen sind wie bei radikalen Moslems, reduziere sie auf die Absicht, „das Wort Gottes“ auf Biegen und Brechen durchzuboxen und verhöhne sie als unaufgeklärte Störer, mit denen eine sachliche Debatte nicht möglich sei. So zumindest tut es der F.A.Z.-Autor in dem Beitrag.

In Deutschland sind es oft – aber nicht nur – christlich motivierte Naturwissenschaftler, die sich erdreisten, am althergebrachten Bild der Evolution zu kratzen, eine offene, sachliche Diskussion wollen und dafür enorme Angiftungen in Kauf nehmen müssen. Unerträglich ist dabei, dass eine öffentliche Diskussion in Deutschland gar nicht stattfinden kann, wenn Experten und die meinungsbildenden Medien die Andersdenkenden von vornherein als vernebelte, unaufgeklärte Schwachköpfe darstellen; unerträglich ist außerdem, dass gerade diejenigen, die Kreationisten Ignoranz vorwerfen, permanent eine naturwissenschaftliche Debatte um Evolution oder Kreation mit einer Religionsdebatte verwechseln. Somit reagieren sie auf naturwissenschaftliche Einwürfe der Kreationisten mit philosophischen oder theologischen Antworten. Dass Glaube ins Reich der Märchen gehört, davon sind sie allein durch ihre rationale Schlussfolgerung überzeugt. Was ist es anderes als Ignoranz, wenn man einem Biologen empfiehlt, erst einmal seinen Glauben über Bord zu schmeißen, bevor er naturwissenschaftlich oder mit den Mitteln der Logik gegen die Evolutionstheorie argumentiert?

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