Die offizielle Informationsliste mit Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, wächst langsam weiter. Ein Jahr nach dem Start haben sich mittlerweile 327 Ärzte freiwillig eintragen lassen, wie die Bundesärztekammer auf Anfrage mitteilte. Nach einem halben Jahr waren es bundesweit 301 Ärzte und andere Einrichtungen gewesen. Die Bundesärztekammer hatte die Liste am 29. Juli 2019 online gestellt. Sie war Teil der Reform von Paragraf 219a des Strafgesetzbuches zum sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche.
Die Spitzenorganisation beklagte, dass Ärzte, die auf der Liste geführt werden, teils Drohungen und Gewalthandlungen ausgesetzt seien. Dies habe nachteilige Folgen für die medizinische Versorgung von Schwangeren, die einen Abbruch erwägen. Ärzte sollten daher vergleichbar den Regelungen zur Hasskriminalität geschützt werden. Hier sei der Gesetzgeber gefordert. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Heidrun Gitter, hatte dazu dem Deutschen Ärzteblatt gesagt, wer Frauen diese Möglichkeit anbiete, dürfe nicht angefeindet oder in eine Schmuddelecke gestellt werden.
Nach dem Kompromiss der großen Koalition von Anfang 2019 dürfen Ärzte öffentlich machen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen – weitere Informationen, etwa über Methoden, sind aber nicht erlaubt. Dazu sollen Ärzte auf der Liste Angaben machen können. Auf Kritik war gestoßen, dass sie zum Start zunächst nur bundesweit 87 Einträge umfasste.
Ingesamt scheint es weniger Ärzte und Einrichtungen zu geben, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Im Jahr 2003 seien beim Statistischen Bundesamt noch von 2.050 Praxen und Krankenhäusern Meldungen über vorgenommene Abtreibungen eingegangen. Ende vergangenen Jahres waren es nur noch 1.149. Das lasse den Schluss zu, dass es in bestimmten Gebieten in Deutschland schwierig sei, einen passenden Arzt zu finden. Die Bundesländer steckten damit politisch in der Klemme. Einerseits lege das Schwangerschaftskonfliktgesetz fest, dass „die Länder ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen“ müssten. Andererseits heiße es in dem Gesetz auch: „Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken.“
Mediziner im „Spannungsfeld“
Vor diesem Hintergrund, Frauen Zugang zu einem Abbruch zu garantieren, aber niemanden zum Mitmachen zu verpflichten, wirke der Vorstoß der Grünen-Politikerin Bärbl Mielich nicht mehr ganz so radikal wie auf den ersten Blick, stellt die Zeitung fest. Die Staatssekretärin im Sozialministerium Baden-Württemberg hatte vor Kurzen angekündigt, prüfen zu wollen, um Ärzte an Universitätskliniken zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verpflichtet werden können. Dafür erntete sie viel Kritik und Gegenwind. Unter anderem lehnte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Vorschlag ab.
Auch Gutachter vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages seien zu dem Schluss gekommen, dass sich Ärzte und Kliniken in einem „Spannungsfeld“ befänden, schreibt die FAZ. Im vergangenen Jahr erstellte der Dienst einen Sachstandsbericht zum Thema Weigerungsrecht bei Schwangerschaftsabbrüchen. Wenn sich Krankenhäuser als Institutionen regelmäßig auf das Recht beriefen, Abtreibungen aus ethischen Gründen abzulehnen, wäre „eine dadurch entstehende Gefährdung der Sicherstellung problematisch“, heiße es in dem Bericht. Und: „Eine Lösung ist denkbar etwa durch gesetzliche Regelungen der Länder, mit denen sie (zumindest den öffentlichen) Krankenhäusern die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verbindlich auferlegen, um ihrem Sicherstellungsauftrag gerecht zu werden.“
Ärztevertreter bezweifelten laut FAZ jedoch, dass das Problem über die Personalpolitik gelöst werden könne. Der Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Medizinischen Hochschule Hannover, Peter Hillemanns, nannte diesen Vorschlag gegenüber der FAZ „äußerst bedenklich“ und „arbeitsrechtlich diskrimierend“. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Anton Scharl, erklärte: „Wäre die Bereitschaft zum Abbruch Einstellungsvoraussetzung, wäre das gegen das Gleichbehandlungsgebot“. Es sei außerdem „inakzeptabel“, wenn politische Regelungen Bedingungen schafften, die die „ethische oder religiöse Einstellungen der Ärzte verletzen“.
Kliniken gestehen Abbrüche aus „sozialer Indikation“ ungern ein
Wenn man Universitätskliniken über die Einstellungspolitik zu mehr Abtreibungen zwingen wolle, würde das das Arbeitsrecht, das Weigerungsrecht und die Ethik der Mediziner verletzen. Noch ein anderer Grund spreche dagegen: Vier von fünf Abtreibungen fänden in Deutschland in Praxen von niedergelassenen Ärzten statt und nicht in Krankenhäusern, da es meist ambulante Eingriffe seien. Das zeigten die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Diese Eingriffe erfolgten fast alle nach der Beratungsregelung, ihnen gingen keine Sexualdelikte voraus oder medizinische Notwendgkeiten. Insgesamt sind im vergangen Jahr rund 101.000 Abtreibungen registriert worden, meldete das Statistische Bundesamt im März diesen Jahres. Nur 17 davon gingen auf ein Sexualdelikt zurück und in knapp 3.900 Fällen habe eine medizinische Notwendigkeit bestanden.
Alle 35 Universitätskliniken in Deutschland beteiligten sich derzeit schon an der Beratungsregelung, oft jedoch nur für schwerwiegende medizinische Fälle, bei denen der Fötus zum Beispiel schwer behindert sei oder das Leben der Mutter gefährdet. So sagte ein Sprecher der Universitätsklinik Düsseldorf gegenüber der FAZ, dass Abbrüche aus „sozialer Indikation“ vorwiegend in Praxen von niedergelassenen Ärzten vorgenommen würden. Aber auch die Unikliniken nähmen Abtreibungen vor, die nichts mit medizinischen Gründen zu tun hätten, schreibt die Zeitung. Im vergangenen Jahr seien das 400 Fälle in ganz Deutschland gewesen, habe eine Abfrage der FAZ ergeben. Auch die medizinischen Notwendigkeiten eingerechnet, hätten die Unikliniken etwa 1.500 Abtreibungen vorgenommen.
„Ein Zwang wäre niemals zu rechtfertigen“
Die Christusbewegung Lebendige Gemeinde unter dem Vorsitz von Pfarrer Friedemann Kuttler erklärte in einer Mitteilung, Abtreibungen durchzuführen, könne niemals die Pflicht von Ärzten sein. Sie fordert außerdem einen stärkeren Einsatz für den Schutz ungeborenen Lebens und wünscht sich vor allem von der Politik und den evangelischen Kirchen ein entschiedeneres Auftreten. Er sagte auch: „Für uns als ChristusBewegung ‚Lebendige Gemeinde‘ ist selbstverständlich, dass Frauen geholfen werden muss, die schwanger werden und über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken. Männer tragen hierbei eine Mitverantwortung, dass Frauen nicht ungewollt schwanger werden. Eine Abtreibung darf niemals zur Selbstverständlichkeit werden.“
„Die Gedankenexperimente aus dem Ministerium erscheinen rechtlich abenteuerlich und könnten ethisch zum Desaster werden“, ergänzte der Vorsitzende des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg e.V., die Apis, und stellvertretender Vorsitzender der Christusbewegung, Pfarrer Steffen Kern. „Ein Zwang für Ärztinnen und Ärzte, Menschenleben zu töten, wäre ethisch niemals zu rechtfertigen. Hier werden grundlegende christliche Werte auf den Kopf gestellt“, sagte er. Kern sei dankbar, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Vorschlag bereits zurückgewiesen habe.
Von: dpa/Swanhild Zacharias